Zur Verteidigung von beschuldigten Personen sind in der Regel nur Rechtsanwälte zugelassen (Art. 127 Abs. 5 StPO). Anwälte haben ihren Beruf sorgfältig und gewissenhaft auszuüben (Art. 12 Bst. a BGFA).
Normalerweise prüft man verschiedene Angebote, bevor man sich für eines entscheidet. Beschuldigte Personen haben jedoch regelmässig das Problem, dass sie vorgängig keine Prüfung vornehmen können, da sie keine Verteidiger kennen oder da sie infolge Haft keine Möglichkeit mehr haben, sich über geeignete Verteidiger zu informieren. Folglich müssen sie notgedrungen auf einen Pikettanwalt zurückgreifen, von dem sie vorher noch nie gehört haben, oder die Oberstaatsanwaltschaft muss ihnen einen amtlichen Verteidiger gemäss der Verteidigerliste bestellen. Eine vorgängige Prüfung der Fähigkeiten eines Verteidigers erfolgt somit regelmässig nicht.
Meinungsverschiedenheiten zwischen der beschuldigten Person und ihrem Verteidiger über die konkrete Gestaltung der Verteidigung kommen häufig vor. Nur weil die beschuldigte Person mit der Arbeit des Verteidigers nicht zufrieden ist oder sich von diesem unverstanden fühlt, heisst das noch lange nicht, dass der Verteidiger unfähig ist. Es ist gerade auch die Aufgabe des Verteidigers, der beschuldigten Person unbequeme Wahrheiten zu vermitteln. Beschuldigte Personen haben nicht selten falsche Vorstellungen von den Aufgaben und Möglichkeiten eines Verteidigers.
Die Oberstaatsanwaltschaft hält in ihrem „Leitfaden amtliche Verteidigung“ insbesondere Folgendes fest:
Wenn die amtliche Verteidigung sich weigert, aufgrund ihrer eigenen Beurteilung der Rechtslage gewisse, von der beschuldigten Person gewünschte rechtliche Schritte zu unternehmen. Die Verteidigung bestimmt die Art und Weise der Mandatsführung. Einer Verteidigung kann keine Prozessführung aufgenötigt werden, die nach ihrer Auffassung aussichtslos ist (…).
Das Obergericht führte in einem mich betreffenden Fall Folgendes aus:
1. Gemäss Art. 134 Abs. 2 StPO überträgt die Verfahrensleitung die amtliche Verteidigung einer anderen Person, wenn das Vertrauensverhältnis zwischen der beschuldigten Person und ihrer amtlichen Verteidigung erheblich gestört oder eine wirksame Verteidigung aus anderen Gründen nicht mehr gewährleistet ist. Voraussetzung für einen Verteidigerwechsel ist mithin, dass eine Störung oder Gründe gegeben sind, die so schwerwiegend (erheblich) sind, dass ihr Vorliegen eine effiziente und ordnungsgemässe Verteidigung der beschuldigten Person durch den bestellten amtlichen Verteidiger ‒ objektiv betrachtet ‒ in Frage gestellt wird. Die einseitige Erklärung der beschuldigten Person aus subjektiver Sicht, das Vertrauensverhältnis sei ihrerseits schwer gestört, vermag keinen Wechsel der amtlichen Verteidigung herbeizuführen. Gemäss Lehre und Rechtsprechung sind nachvollziehbare Gründe erforderlich für die Notwendigkeit eines Verteidigerwechsels und sind solche Gründe vom Gesuchsteller darzutun oder ergeben sich aus einer entsprechenden Erklärung des Verteidigers. Rein persönliche, nicht nachvollziehbare Empfindlichkeiten genügen für einen Wechsel ebenso wenig wie wenn in allgemeiner Weise die „Chemie“ zwischen Anwalt und beschuldigter Person nicht optimal ist (…).
2. Weiter kann eine durch das eigene Verhalten der beschuldigten Person und ihre eigene Verweigerungshaltung hervorgerufene Erschwerung der Zusammenarbeit ganz allgemein nicht zu einem Wechsel der Verteidigung führen. Diesfalls hätte es eine beschuldigte Person in der Hand, nach Belieben einen Verteidigerwechsel zu erzwingen, wobei der Staat die dadurch verursachten Mehrkosten dafür zu tragen hätte. Dass dies nicht im Sinne der Bestimmungen über die Gewährleistung einer ordnungsgemässen Verteidigung im Strafverfahren ist, geht aus dem oben Gesagten und dem aufgeführten Art. 134 Abs. 2 StPO hervor, der ‒ in der Zusammenfassung der bisher geltenden Rechtsprechung ‒ einen Wechsel des amtlichen Verteidigers nur vorsieht, falls (nachvollziehbare) Gründe vorliegen, aus denen die garantierte Verteidigung nicht mehr gewährleistet ist.
3. Vorliegend bringt der Beschwerdeführer nichts vor, was ein unter objektiven Gesichtspunkten endgültig erscheinendes Zerwürfnis zwischen ihm und seinem jetzigen amtlichen Verteidiger nahe legen und einen Wechsel des Verteidigers ohne Weiteres angezeigt erscheinen liesse:
3.1. Soweit in der Beschwerde lediglich das wiederholt wird, was der Beschwerdeführer bereits im Gesuch vom xx. xx. 2012 vorgebracht hatte, nämlich der amtliche Verteidiger kümmere sich nicht um seinen Fall, habe ihn schon verurteilt und unterstütze ihn nicht, bespreche sich nicht mit ihm und besuche ihn zu wenig, beschimpfe ihn und habe Informationen an die Polizei weitergegeben (…)., kann auf die zutreffenden Ausführungen in der angefochtenen Verfügung verwiesen werden (Art. 82 Abs. 4 StPO). Das blosse Gefühl des Beschwerdeführers, sein jetziger amtlicher Verteidiger setze sich nicht in genügendem Masse für ihn ein, das subjektive Empfinden, er sei durch seinen Verteidiger in Stich gelassen worden, und der Verteidiger besuche ihn zu wenig häufig und kümmere sich zu wenig um ihn und seine Bedürfnisse, rechtfertigen einen Wechsel jedenfalls nicht. Was den Vorwurf der Weitergabe von Informationen an die Polizei betrifft, fehlt es insoweit jeglicher Substanziierung, weshalb eine Überprüfung nicht möglich ist; der amtliche Verteidiger hat diesen Vorwurf sodann in glaubhafter Weise entkräftet (…).
3.2. (…) Der Vorwurf, der amtliche Verteidiger habe noch nie eine Ergänzungsfrage gestellt, ist unzutreffend (…). Im Übrigen kann es durchaus zu einer wirkungsvollen Verteidigungsstrategie gehören, möglichst wenig Fragen zu stellen, weil andernfalls die provozierten Antworten dem Beschuldigten auch zum Nachteil gereichen könnten. (…)
In Bezug auf den früheren BVK-Anlagechef Daniel Gloor führte das Bundesgericht Folgendes aus (BGE vom 7.2.2014, 1B_238/2013):
5.1. Art. 29 Abs. 3 und Art. 32 Abs. 2 BV vermitteln der beschuldigten Person einen Anspruch auf sachkundige, engagierte und effektive Wahrnehmung ihrer Parteiinteressen (BGE 138 IV 161 E. 2.4 S. 164 f. mit Hinweis). Wird die beschuldigte Person amtlich verteidigt, überträgt die Verfahrensleitung die amtliche Verteidigung einer anderen Person, wenn das Vertrauensverhältnis zwischen der beschuldigten Person und ihrer amtlichen Verteidigung erheblich gestört oder eine wirksame Verteidigung aus anderen Gründen nicht mehr gewährleistet ist (Art. 134 Abs. 2 StPO).
Allein das Empfinden der beschuldigten Person reicht für einen Wechsel der Verteidigung allerdings nicht aus. Vielmehr müssen konkrete Hinweise bestehen, die in objektiv nachvollziehbarer Weise für eine erhebliche Störung des Vertrauensverhältnisses sprechen. Der blosse Wunsch der beschuldigten Person, nicht mehr durch den ihm beigegebenen Verteidiger vertreten zu werden, reicht für einen Wechsel nicht aus. Zudem ist der amtliche Verteidiger nicht bloss das unkritische Sprachrohr seines Mandanten. Für einen Verteidigerwechsel genügt deshalb nicht, wenn die Verteidigung eine problematische, aber von der beschuldigten Person gewünschte Verteidigungsstrategie nicht übernimmt oder wenn sie nicht bedingungslos glaubt, was die beschuldigte Person zum Delikt sagt, und das nicht ungefiltert gegenüber den Behörden vertritt. Gleiches gilt betreffend die Weigerung, aussichtslose Prozesshandlungen vorzunehmen. Im Zweifelsfall liegt es nämlich im pflichtgemässen Ermessen des Verteidigers, zu entscheiden, welche Beweisanträge und juristischen Argumentationen er als sachgerecht und geboten erachtet. Hingegen erscheint der Anspruch auf eine wirksame Verteidigung verletzt, wenn die Verteidigung einer nicht geständigen beschuldigten Person andeutet, sie halte ihren Mandanten für schuldig (BGE 138 IV 161 E. 2.4 S. 165 f.; Urteil 1B_410/2012 vom 3. Oktober 2012 E. 1.2; je mit Hinweisen).
Die beschuldigte Person könnte sich erbeten verteidigen lassen, was ihr die Möglichkeit eröffnet, den Verteidiger nach eigenem Gutdünken auszuwechseln. Erbetene Verteidigung bedeutet jedoch, dass die beschuldigte Person die Kosten der Verteidigung selbst tragen, mithin auch Vorschüsse leisten muss.
Neben den Fällen, in denen die beschuldigte Person ihren Verteidiger als subjektiv unfähig betrachtet, gibt es aber auch Fälle, in denen der Verteidiger tatsächlich objektiv unfähig ist. Ein objektiv unfähiger Anwalt hat in einem konkreten Fall seinen Beruf nicht sorgfältig und gewissenhaft ausgeübt. Solche Fälle sind zwar nicht häufig, leider gibt es aber solche.
Im Fall des Zwillingsmordes von Horgen wurden dem Zirkulationsbeschluss vom 1. Juni 2012 des Kassationsgerichts (AC110010-P) folgende Leitsätze vorangestellt:
Die Stellung eines unsinnigen (weil rechtlich unmöglichen) Antrags zum Strafmass wirft die Frage auf, ob der Verteidiger über die für eine genügende Verteidigung notwendigen rechtlichen Kenntnisse verfügt und verpflichtet das Gericht, diesbezüglich weitere Abklärungen bzw. Vorkehren für die Gewährleistung einer genügenden Verteidigung zu treffen (Erw. III/5). Zumindest bei notwendiger Verteidigung hat das Gericht von Amtes wegen dafür zu sorgen, dass auch die Strafzumessung Thema der Verteidigungsleistung wird, und zwar auch dann, wenn die Verteidigung im Hauptantrag auf Freispruch plädiert (Erw. III/6.2).
Im Entscheid finden sich insbesondere folgende Ausführungen:
5.4. Die Rüge ist begründet. Es gehört zum elementaren Wissen eines Strafverteidigers, dass bei einer Freiheitsstrafe von 7 Jahren keine bedingte Strafe im Sinne von Art. 42 f. StGB möglich ist. Deshalb kommt bei einer Freiheitsstrafe von 7 Jahren auch keine Probezeit im Sinne von Art. 44 StGB in Betracht. Zu Recht bezeichnete das Geschworenengericht in seiner Vernehmlassung zur Nichtigkeitsbeschwerde den Antrag auf eine Probezeit von 3 Jahren beim Antrag auf eine Freiheitsstrafe von 7 Jahren (alles unter dem Titel Eventualantrag) als unsinnig. Stellt ein Verteidiger einen (rechtlich) unsinnigen Antrag, wirft das zumindest die Frage auf, ob er die notwendigen Kenntnisse für die Führung einer Strafverteidigung hat, und ruft (zumindest im Fall einer notwendigen Verteidigung) nach Rückfragen.a) Zu den wesentlichen Pflichten des Verteidigers gehört das Gebot der aktiven Teilnahme am Verfahren wie etwa die Teilnahme an den wichtigsten Einvernahmen und Verhandlungen sowie das Stellen von allfälligen Ergänzungsfragen, das Stellen von Anträgen sowie das Vortragen von hinreichenden und sachgerechten tatsächlichen sowie rechtlichen Ausführungen zu allen sich im Verfahren stellenden wesentlichen Fragen sowie das Ergreifen aller sinnvollen Verteidigungsmöglichkeiten, stets im Hinblick auf die Erwirkung eines für den Angeschuldigten möglichst günstigen Entscheides (…). Die rechtlichen Interessen des Angeschuldigten müssen durch den Offizialverteidiger in ausreichender und wirksamer Weise wahrgenommen werden. Auch der amtlich verteidigte Angeschuldigte hat Anspruch auf eine sachkundige, engagierte und effektive Wahrnehmung seiner Parteiinteressen. Wird von den Behörden untätig geduldet, dass der amtliche Verteidiger seine anwaltlichen Berufs- und Standespflichten zum Schaden des Angeschuldigten in schwerwiegender Weise vernachlässigt, kann darin eine Verletzung der in Art. 4aBV bzw. Art. 32 Abs. 2 Satz 2 BV und Art. 6 Ziff. 3 EMRK sowie Art. 14 Ziff. 3 lit. d IPBPR garantierten Verteidigungsrechte liegen (…). Das Gericht hat, zumindest in Fällen notwendiger Verteidigung, eine entsprechende richterliche Fürsorgepflicht (…).
(…)
6.2. Bereits vorstehend wurde darauf hingewiesen, dass zu den wesentlichen Pflichten des Verteidigers auch das Vortragen von hinreichenden und sachgerechten tatsächlichen sowie rechtlichen Ausführungen zu allen sich im Verfahren stellenden wesentlichen Fragen gehört. Daran ändert der Umstand nichts, dass auch im Geschworenengerichtsprozess der Grundsatz „iura novit curia“ gilt. Ein Verteidigungsplädoyer, welches sich überhaupt nicht zur (allfälligen) Strafzumessung äussert, ist als objektiv ungenügend zu bezeichnen. Ein Angeklagter kommt auch bei einem Hauptantrag auf Freispruch nicht in den Genuss einer wirksamen Verteidigung, wenn sich das Plädoyer der Verteidigung nicht mit der (allfälligen, im Falle eines Schuldspruchs) Strafzumessung auseinandersetzt und namentlich die für den Angeklagten sprechenden Umstände näher beleuchtet. Das Gericht muss zumindest in Fällen notwendiger Verteidigung von Amtes wegen dafür sorgen, dass auch die Strafzumessung Thema der Verteidigungsleistung wird. Tut es das nicht, verletzt es die richterliche Fürsorgepflicht, selbst wenn die Verteidigung im Übrigen ‒ also namentlich mit Bezug auf den Schuldpunkt ‒ genügend oder gar intensiv gewesen sein sollte (…).
Wenn eine beschuldigte Person ungenügend verteidigt gewesen ist, führt dies zur Aufhebung des Urteils und zu einer Wiederholung des Prozesses.
In einem Beschluss des Obergerichts vom 15. April 2013 (SB130026-O) betreffend mehrfache Vergewaltigung ist ein weiterer Fall von ungenügender Verteidigung dokumentiert:
1. Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass es zur Pflicht des Gerichts gehört, die Angemessenheit der Verteidigung zu kontrollieren und bei ungenügender Verteidigung aus richterlicher Fürsorgepflicht einzuschreiten. Erlangt das Gericht Kenntnis davon, dass der amtliche Verteidiger seine Arbeit mangelhaft ausgeführt haben soll, ist es gehalten abzuklären, ob der amtliche Verteidiger seiner Aufgabe hinreichend nachgekommen ist. Wird im Berufungsverfahren eine ungenügende Verteidigung vor der Vorinstanz festgestellt, so führt dies zur Rückweisung des Falles zur Wiederholung des bezirksgerichtlichen Verfahrens (…). Entgegen der Ansicht der Verteidigung braucht es für eine Rückweisung an die Vorinstanz demnach keinen formellen Antrag des Beschuldigten (Urk. 117).
2. Art. 409 StPO sieht vor, dass das Berufungsgericht dann ein angefochtenes Urteil aufheben und die Sache zur Durchführung einer neuen Hauptverhandlung an das erstinstanzliche Gericht zurückweisen kann, wenn das erstinstanzliche Verfahren wesentliche Mängel aufweist, die im Berufungsverfahren nicht geheilt werden können. Die Fehler des erstinstanzlichen Verfahrens müssen aber derart gravierend sein, dass zur Wahrung der Parteirechte, in erster Linie zur Vermeidung eines Instanzverlusts des Berufungsklägers, eine Rückweisung als unumgänglich erscheint. Dies wäre beispielsweise bei formell fehlender oder materiell völlig ungenügender Verteidigung in den Fällen notwendiger Verteidigung der Fall (…).
3. Nachdem dem Beschuldigten eine Freiheitsstrafe von mehr als einem Jahr droht (vgl. Anklageschrift Urk. 40 S. 7), liegt ein Fall von notwendiger Verteidigung im Sinne von Art. 130 lit. b StPO vor. Ein Beschuldigter hat Anspruch auf eine sachkundige, engagierte und effektive Wahrnehmung der Parteiinteressen (Grundsatz der effektiven bzw. effizienten Verteidigung). Insbesondere in Fällen notwendiger Verteidigung ist dem Anspruch des Beschuldigten nur genüge getan, wenn der Verteidiger seine Pflichten tatsächlich wahrnimmt und das zur Verteidigung Notwendige vorkehrt.
Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts (…) müssen der amtliche wie der private Verteidiger die Interessen der Beschuldigten in ausreichender und wirksamer Weise wahrnehmen und die Notwendigkeit prozessualer Massnahmen im Interesse der Angeschuldigten sachgerecht und kritisch abwägen. Der Beschuldigte hat Anspruch auf eine sachkundige, engagierte und effektive Wahrnehmung seiner Parteiinteressen. Wird von den Behörden untätig geduldet, dass der Verteidiger seine anwaltlichen Berufs- und Standespflichten zum Schaden des Beschuldigten in schwerwiegender Weise vernachlässigt, kann darin eine Verletzung der von Verfassung und Konvention gewährleisteten Verteidigungsrechte liegen (…). Eine solche Verletzung liegt etwa vor bei krassen Frist- und Terminversäumnissen, Fernbleiben an wichtigen Zeugeneinvernahmen, mangelnder Sorgfalt bei der Vorbereitung von Einvernahmen und anderen Prozesshandlungen oder fehlender Vorsorge für Stellvertretungen. Als schwere Pflichtverletzung fällt indes nur sachlich nicht vertretbares bzw. offensichtlich fehlerhaftes Prozessverhalten des Verteidigers in Betracht (…). Der Verteidiger hat die Pflicht, den Beschuldigten wirkungsvoll und sachgerecht zu vertreten. Er muss die Interessen des Beschuldigten in ausreichender und effektiver Weise wahrnehmen. So hat er sich als Anwalt etwa anlässlich der gerichtlichen Hauptverhandlung hinreichend zu allen sich im Prozess stellenden wesentlichen Fragen zu äussern. Dabei muss er einseitig und nur zugunsten und im Interesse der beschuldigten Person tätig werden, um für diese ein möglichst günstiges Urteil zu erreichen. Es kommt ihm bei der Führung der Verteidigung und der Bestimmung der Verteidigungsstrategie aber ein erhebliches Ermessen zu (…). Ein klar fehlerhaftes Prozessverhalten kann auch in einer unterbliebenen oder offenkundig ungenügenden Stellungnahme zu den Strafanträgen der Staatsanwaltschaft liegen. Grundsätzlich ist aber nicht zu beanstanden, wenn sich die Verteidigung, die ihren Hauptantrag auf Freisprechung nicht mit Ausführungen über das Strafmass für den Fall einer Verurteilung schwächen will (sog. Verteidigerdilemma), in ihrem Plädoyer auf Ausführungen zum Schuldpunkt beschränkt und darauf verzichtet, in einem Eventualstandpunkt zur Strafzumessung Stellung zu nehmen. Dies gilt jedenfalls, wenn der Verzicht auf Ausführungen zum Strafpunkt für alle Verfahrensbeteiligten erkennbar auf einer durchdachten und klar umrissenen Verteidigungsstrategie beruht (…).
4.1. Wird einem Beschuldigten eine Vergewaltigung vorgeworfen, bei dem nur die Aussagen des Opfers und des Täters zu Verfügung stehen (sogenanntes Vieraugendelikt) und bei dem der Beschuldigte mit einer Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu 10 Jahren rechnen muss (Art. 190 Abs. 1 StGB), so bedarf dies einer besonders sorgfältigen und engagierten Verteidigung. Die Ansprüche an eine Strafverteidigung sind in einem solchen Fall komplex und anforderungsreich und müssen in jedem Verfahrensabschnitt gewährleistet sein.
4.2. Was die Teilnahme der Verteidigung an den Untersuchungshandlungen anbelangt, so ergibt sich aus den Akten, dass auf Wunsch der Geschädigtenvertreterin der Beschuldigte selber zur Zeugeneinvernahme von C. (Vater der Privatklägerin) nicht vorgeladen wurde, sein Verteidiger aber schon. Dass der Verteidiger aber trotz dieser Vorladung unentschuldigt nicht erschienen ist und erst während der Einvernahme angerufen hat, um sich für sein aus persönlichen Gründen erfolgtes Nichterscheinen zu entschuldigten, spricht nicht für eine pflichtbewusste Verteidigung (Urk. …). Die Verteidigung hätte den Beschuldigten zudem darauf hinweisen müssen, dass ein Anspruch darauf besteht, bei der Einvernahme des Zeugen anwesend sein und Fragen stellen zu können. Indem der Verteidiger der Zeugeneinvernahme nicht beiwohnte und auch den Beschuldigten nicht auf sein Anwesenheitsrecht hinwies, liess er das Konfrontationsrecht des Beschuldigten leer laufen und verletzte seine Pflichten als amtlicher Verteidiger. Weiter fällt auf, dass der Verteidiger die Zeugeneinvernahme der Schwester der Privatklägerin aus nicht nachvollziehbaren Gründen nach einer gewissen Zeit vorzeitig verliess und erklärte, keine Ergänzungsfragen an die Zeugin zu haben (Urk. …). Bei den anderen Zeugeneinvernahmen nahm der Verteidiger zwar teil, stellte aber keine wesentlichen Ergänzungsfragen (Urk. …).
4.3. Anlässlich der Hauptverhandlung vor Vorinstanz beschränkte sich der Verteidiger in seinem 16 Seiten Notizen umfassenden Plädoyer (Urk. 59) praktisch ausschliesslich darauf, aus Einvernahmen und anderen Aktenstücken zu zitieren und darauf hinzuweisen, dass darin Widersprüche bestünden, sowie daraus zu folgern, es könnten deshalb die angeklagten Sachverhalte gar nicht erstellt wer den. Neben dieser letztlich blossen Auflistung verschiedenster Akteninhalte fehlt aber jegliche argumentative Auseinandersetzung damit, insbesondere werden die wiedergegebenen Aussagen nicht analysiert und erfolgt keinerlei Diskussion deren Glaubhaftigkeit oder der Glaubwürdigkeit der einvernommenen Personen. Daneben ermangelt es dem Plädoyer des Verteidigers auch sonst jeglichen (juristischen) Argumentariums, und mit den Parteivorträgen des Staatsanwaltes und der Vertreterin der Privatklägerin setzt er sich überhaupt nicht auseinander. Ausführungen dazu, wie im Eventualfall einer Verurteilung die Sanktionsfolge zu regeln und hinsichtlich der Zivilforderungen zu entscheiden wäre, fehlen ebenfalls vollständig (Prot. I S. 7). Anlässlich der Fortsetzung der Hauptverhandlung, wo im Rahmen einer Beweisergänzung die Privatklägerin als Auskunftsperson einvernommen wurde, verzichtete der Verteidiger schliesslich sowohl darauf, der Privatklägerin Ergänzungsfragen zu stellen, als auch zum Ergebnis der Befragung Stellung zu nehmen (Urk. 66; Prot. I S. 12). Er überliess es dem Beschuldigten persönlich geltend zu machen, die Privatklägerin habe „ein Theaterstück mit Weinen veranstaltet“ (Urk. 67).
Vor diesem Hintergrund muss von nichts anderem als einer offenkundigen und schwerwiegenden Vernachlässigung der Verteidigerpflichten gesprochen werden. Von einer Verteidigungsstrategie kann keine Rede sein. Die Summe aller Unterlassungen wiegt als praktisch vollständig unterbliebene Verteidigerarbeit schwer. Faktisch muss der Beschuldigte als in der vorinstanzlichen Hauptverhandlung nicht verteidigt bezeichnet werden. Das vom Verteidiger gehaltene Plädoyer erforderte nicht, von einem Rechtsanwalt erstellt zu werden. Da nicht ausgeschlossen werden kann, dass das Urteil der Vorinstanz bei ordnungsgemässer Verteidigung milder ausgefallen wäre, ist die Sache unter Beizug der neuen amtlichen Verteidigung zur Neubeurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen. Dabei wird diese auch zu prüfen haben, ob der Beschuldigte bereits in der Untersuchung ungenügend verteidigt war. Sollte sie zum Schluss kommen, dass dies der Fall war, so wäre auch die Untersuchung zu wiederholen.
Die Ausführungen des Obergerichts zu den Verteidigungsleistungen sind schonungslos direkt und vernichtend. Solche Leute schaden denn auch dem Ansehen des Anwaltsberufs erheblich. Zum Glück sind solche krassen Einzelfälle die Ausnahme. Die meisten Verteidiger führen ihre Arbeit sorgfältig, gewissenhaft und zur Zufriedenheit der beschuldigten Personen aus.