Art. 417 StPO
Kostenpflicht bei fehlerhaften Verfahrenshandlungen
Bei Säumnis und anderen fehlerhaften Verfahrenshandlungen kann die Strafbehörde Verfahrenskosten und Entschädigungen ungeachtet des Verfahrensausgangs der verfahrensbeteiligten Person auferlegen, die sie verursacht hat.
Das Bundesgericht ging im Urteil vom 16. Mai 2024 (6B_181/2023) von Folgendem aus:
A. Das Obergericht des Kantons Obwalden verurteilte A.________ am 19. Dezember 2022 wegen zahlreicher Delikte zu einer Freiheitsstrafe. Es auferlegte seinem Verteidiger Rechtsanwalt B.________ 1/6 der Kosten des Berufungsverfahrens, nämlich Fr. 1’150.40 von Fr. 6’902.50.
B. Rechtsanwalt B.________ beantragt mit Beschwerde in Strafsachen, die Kostenauflage zu seinen Lasten sei aufzuheben.
Die hatte folgenden Hintergrund:
2.2. Die Vorinstanz hält fest, dass die Berufung des Verurteilten grösstenteils abgewiesen wird. In Anwendung von Art. 428 Abs. 2 lit. b StPO auferlegt sie ihm 5/6 der Kosten des Berufungsverfahrens (vgl. dazu Urteile 6B_866/2016 vom 9. März 2017 E. 10.3.4; 6B_1025/2014 vom 9. Februar 2015 E. 2.4.4). Im Übrigen überbindet die Vorinstanz die Kosten des Berufungsverfahrens gestützt auf Art. 417 StPO dem Beschwerdeführer. Sie hält fest, er habe erst einen Tag vor der Berufungsverhandlung über den Rückzug eines Grossteils der Berufungsanträge informiert. Ein solches Vorgehen sei zwar nicht rechtswidrig, da der Rückzug bis zum Abschluss der Parteiverhandlungen möglich sei. Doch könnten unnötige Kosten auch ohne Verschulden dem Verursacher auferlegt werden. Die Berufung sei bereits am 25. Mai 2021 erhoben worden, womit der Beschwerdeführer über 17 Monate Zeit gehabt habe, mit dem Verurteilten die Verteidigungstaktik zu besprechen. Gemäss Kostennote habe sich der Beschwerdeführer letztmals am 26. Oktober 2022 mit dem Verurteilten besprochen. Daher sei davon auszugehen, dass er spätestens zu diesem Zeitpunkt mit dem Verurteilten verabredet habe, die meisten Berufungsanträge zurückzuziehen. Dennoch sei der Rückzug erst einen Tag vor der Berufungsverhandlung erfolgt, als ein Grossteil der Arbeit für die Beurteilung der Berufungsanträge bereits erledigt gewesen sei. Namentlich habe die Vorinstanz zwei Auskunftspersonen vorgeladen und die Befragung des Verurteilten und der Auskunftspersonen vorbereitet. Damit sei ein erheblicher Teil der Kosten des Berufungsverfahrens unnötig verursacht worden.
Das Bundesgericht legte zuerst die Rechtslage dar:
2.1. (…)
Die Lehre geht in Anlehnung an die zu Art. 66 Abs. 3 BGG und Art. 156 Abs. 6 OG ergangene bundesgerichtliche Rechtsprechung davon aus, dass auch ein Rechtsbeistand einer Partei kosten- und entschädigungspflichtig im Sinne von Art. 417 StPO werden kann. Dem pflichtete das Bundesgericht bei (Urteil 6B_364/2018 vom 26. Juli 2018 E. 3.3.3 mit zahlreichen Hinweisen). Es entspricht dem allgemeinen Grundsatz von Art. 66 Abs. 3 BGG, dass unnötige Kosten bezahlt, wer sie verursacht (sog. Verursacherprinzip). Dieser Grundsatz liegt auch Art. 417 StPO zugrunde. Nach der zu Art. 66 Abs. 3 BGG und Art. 156 Abs. 6 OG ergangenen Rechtsprechung kann das Gericht ausnahmsweise die Gerichtskosten dem Rechtsbeistand auferlegen, wenn dieser bei Beachtung elementarster Sorgfalt erkennen musste, dass das von ihm eingelegte Rechtsmittel offensichtlich unzulässig ist (BGE 129 IV 206 E. 2). Dies muss trotz des im Vergleich zu Art. 66 Abs. 3 BGG und Art. 156 Abs. 6 OG (aber auch Art. 108 ZPO, ausführlich dazu: BGE 141 III 426 E. 2.4) engeren Wortlauts von Art. 417 StPO, der nur die Säumnis und fehlerhafte Verfahrenshandlungen von verfahrensbeteiligten Personen erwähnt, auch für kantonale Strafverfahren gelten. Art. 105 Abs. 1 StPO ist nicht abschliessend (Urteil 6B_364/2018 vom 26. Juli 2018 E. 3.3.3 mit Hinweisen). Obschon in Art. 105 StPO nicht ausdrücklich erwähnt, haben auch Rechtsbeistände oder andere Personen, die als Vertreter einer Partei am Strafverfahren teilnehmen, als verfahrensbeteiligte Personen im Sinne von Art. 417 StPO zu gelten. Die Kostenauflage an den Rechtsbeistand soll aber auf dessen offenkundige Säumnisse und andere Extremfälle von anwaltlichem Fehlverhalten beschränkt bleiben bzw. nur zurückhaltend angewandt werden (vgl. THOMAS DOMEISEN, in: Basler Kommentar, Schweizerische Strafprozessordnung, 3. Aufl. 2023, N. 13 zu Art. 417 StPO; YVONA GRIESSER, in: Kommentar zur Schweizerischen Strafprozessordnung [StPO], 3. Aufl. 2020, N. 4 zu Art. 417 StPO; SCHMID/JOSITSCH, Schweizerische Strafprozessordnung [StPO], Praxiskommentar, 4. Aufl. 2023, N. 2 zu Art. 417 StPO).
Das Bundesgericht hiess danach die Beschwerde des Verteidigers gut:
2.3. Die Rüge des Beschwerdeführers ist begründet.
Art. 386 Abs. 2 lit. a StPO sieht vor, dass, wer ein Rechtsmittel ergriffen hat, dieses im mündlichen Verfahren bis zum Abschluss der Parteiverhandlungen zurückziehen kann. Zudem kommt dem Rechtsbeistand bei der Ausgestaltung der Prozessführung ein erhebliches Ermessen zu, wenn es darum geht, den Anspruch der beschuldigten Person auf eine wirksame Verteidigung und effektive Wahrnehmung ihrer Parteiinteressen zu gewährleisten. Als schwere Pflichtverletzung fällt nur sachlich nicht vertretbares bzw. offensichtlich fehlerhaftes Prozessverhalten der Verteidigung in Betracht (vgl. Art. 29 Abs. 1 BV und Art. 6 Ziff. 1 EMRK; BGE 143 I 284 E. 2.2.2; 138 IV 161 E. 2.4; 126 I 194 E. 3d; Urteil 6B_1079/2022 vom 8. Februar 2023 E. 1.3 mit Hinweisen). Entsprechendes muss mit Bezug auf die Kostenauflage an den Rechtsvertreter gelten, zumal diese nur in Extremfällen in Frage kommt (vgl. oben 2.1). Es ist nicht zu beanstanden, dass der Beschwerdeführer mit dem Rückzug eines Grossteils der Berufung bis zum Vortag der Verhandlung vom 3. November 2022 zugewartet hat, obwohl die letzte Besprechung mit seinem Klienten bereits am 26. Oktober 2022 stattgefunden hatte. Es kann nicht gesagt werden, dass der Beschwerdeführer damit in besonders krasser Weise gegen Verfahrenspflichten verstossen hätte, was ausnahmsweise eine Kostenauflage an ihn rechtfertigen würde. Dies muss umso mehr gelten, als es der beschuldigten Person zu jenem Zeitpunkt auch freigestanden hätte, die Berufung ohne Begründung ganz zurückzuziehen.
2.4. Nach dem Gesagten verletzt die Vorinstanz Bundesrecht, indem sie die Kosten des Berufungsverfahrens zu 1/6 dem Beschwerdeführer auferlegt.
3. Die Beschwerde ist gutgeheissen und Ziffer 7.2 des Urteils des Obergerichts des Kantons Obwalden vom 3. November/19. Dezember 2022 ist aufzuheben. (…)
Es wäre sicher nett gewesen, wenn der Verteidiger das Obergericht früher über den teilweisen Rückzug der Berufung informiert hätte, aber schliesslich ist er rechtlich nicht dazu verpflichtet gewesen. Da das das tägliche Brot von Gerichten ist, ist nicht nachvollziehbar, warum gerade jetzt das Obergericht die Kosten teilweise dem Verteidiger auferlegt hat. Ein extremes anwaltliches Fehlverhalten lag jedenfalls nicht vor. Demzufolge wurde das Obergericht denn auch vom Bundesgericht zurückgepfiffen.