Das Versagen des Rechtsstaats im Kindesrecht

Das Bundesgericht entschied in einem Fall, wie bei uneinigen Eltern in Bezug auf eine Impfung des gemeinsamen Kindes vorzugehen ist (vgl. Beitrag vom 15.7.2020). In der Folge wurde versucht, dieses Urteil zu vollstrecken (vgl. Beitrag vom 30.3.2023).

Schliesslich knickte die zuständige KESB Gelterkinden-Sissach in diesem Fall vor der renitenten Kindesmutter und dem Mob ihrer Impfgegnerfreunde ein und verzichtete auf die Vollstreckung der Impfung (siehe 20 Minuten-Artikel vom 22.9.2023 und vom 21.12.2023).

Das ist die totale Bankrotterklärung der KESB Gelterkinden-Sissach. So lässt sich der Staat im Ergebnis erpressen. Die verantwortlichen KESB-Mitglieder sollten sich schämen und tief in den Boden versinken, denn die Botschaft, die sie aussenden, ist absolut verheerend. Damit wird allen gestörten Elternteilen angezeigt, dass renitentes und unkooperatives Verhalten schliesslich belohnt wird, da es den zuständigen Behörden an der erforderlichen Führungsstärke mangelt, rechtskräftige Urteile zu vollstrecken. Man muss einfach nur lange genug blöd tun, dann gewinnt man.

Der Entscheid der KESB Gelterkinden-Sissach, soweit aus dem Artikel ersichtlich, ist im Übrigen inhaltlich kreuzfalsch. In einem Vollstreckungsverfahren wird das vollstreckbare Urteil inhaltlich nicht überprüft, denn dieses ist bereits rechtskräftig. Es findet deshalb eben keine erneute umfassende Interessenabwägung mehr statt. Die Verhältnismässigkeitsprüfung bezieht sich einzig auf die Art der Vollstreckung. Es ist jeweils die mildeste Art der Vollstreckung zu wählen, um das Urteil durchzusetzen. Die Vollstreckung per se steht jedoch nicht zur Diskussion.

Vorliegend ist zur Durchsetzung der Impfung augenscheinlich polizeilicher Zwang notwendig, allenfalls in Verbindung mit dem Entzug des Aufenthaltsbestimmungsrechts (Obhutsentzug). Eine Verhältnismässigkeitsprüfung, wie behauptet, fand hier jedoch offensichtlich nicht statt. Vielmehr verweigerten die Behördenmitglieder ihre Arbeit, indem sie die notwendigen Vollstreckungsmassnahmen nicht anordneten. Es handelt sich somit um einen Fall von formeller Rechtsverweigerung. Demzufolge wäre es angezeigt, dass die involvierten Behördenmitglieder der KESB Gelterkinden-Sissach wegen Inkompetenz und Führungsversagen zurücktreten, denn alle wissen nun, dass die KESB Gelterkinden-Sissach Behördenmitglieder hat, die man nicht ernst nehmen kann und bei etwas Gegenwind einknicken. Das ist geradezu eine Einladung an alle gestörten Elternteile, der KESB auf der Nase herumzutanzen.

Wenn ich Behördenmitglied gewesen wäre, hätte ich dem Schmierentheater der querulatorischen Kindesmutter nicht lange zugeschaut. Ich hätte zügig durchgegriffen und ihr das Aufenthaltsbestimmungsrecht superprovisorisch entzogen und die Kinder an einem für sie unbekannten Ort platziert. Ich hätte dann der Mutter und den Kindern gesagt, dass diese wieder zurück können, sobald die Impfung durchgeführt worden ist. Daraufhin wäre es wahrscheinlich schnell mit der Impfung gegangen. Und wenn nicht, wäre die Impfung eben mit polizeilichem Zwang vollstreckt worden. Nur durch solch ein konsequentes Vorgehen kann sichergestellt werden, das Urteile im Kindesrecht überhaupt durchgesetzt werden können. Ansonsten sind Urteile nur ein wertloses Stück Papier, Makulatur, bereit für die Altpapiersammlung. Oder anders gesagt: Für was brauchen wir denn noch Gerichte, wenn nachher jeder sowieso nur das macht, was ihm gerade passt?

Vorliegend wäre ein Obhutsentzug auch darum angezeigt gewesen, da die aufsässige Kindesmutter im Rahmen ihres verbissenen Kreuzzuges gegen Gerichte und Behörden die eigenen Kinder in die mediale Öffentlichkeit gezehrt und eine Art Freakshow inszeniert hat (Video inzwischen gelöscht). Die Kindesmutter setzte damit ihre eigenen Interessen über die Interessen der Kinder. Es liegt auf der Hand, dass das ein massiv kindeswohlgefährdendes Verhalten ist, das ein resolutes Einschreiben der KESB erfordert hätte. Aber die KESB Gelterkinden-Sissach schaute lieber weg und redete nachträglich ihr Versagen schön.

Die Impf-Thematik ist nur ein Beispiel für eine Fragestellung im Kindesrecht. Viel wichtiger ist zum Beispiel der Themenbereich „Betreuung“ (früher Besuchsrecht). Heutzutage wissen oder fühlen insbesondere gestörte Kindesmütter ganz genau, dass sie Betreuungsregelungen hintertreiben können und keine negativen Folgen fürchten müssen. Ihr rein egoistisches Verhalten, das − objektiv betrachtet − eklatant dem Kindeswohl widerspricht, wird schliesslich belohnt.

Dass die KESB in diesem Bereich regelmässig versagt, ist für mich nicht weiter erstaunlich. Behördenmitglieder mit einer Ausbildung im sozialen Bereich haben einfach eine ganz andere Denkart als Juristen. Sozialfuzzis glauben an das Gute im Menschen. Darum sind alle so nett und man ist nett miteinander. Die Verfahrensführung ist häufig katastrophal, denn sie begreifen das KESB-Verfahren als eine Art Mediation. Wenn man genügend miteinander redet, dann kommt es schon gut. Dem ist aber überhaupt nicht so. Juristen dagegen sind sich der Schattenseiten der Menschen viel mehr bewusst. Sie sind tougher und sind es sich schliesslich gewohnt, Zivilverfahren zu führen und Entscheidungen zu treffen. Trotz dieser theoretischen Unterscheidung sieht es bei den Gerichten allerdings auch nicht wirklich immer besser auf. Am Schluss fehlt auch dort häufig der Wille, schwierige Entscheide zu treffen. Meist wird der Weg des geringsten Widerstandes eingeschlagen.

Es ist aber gerade die Aufgabe von KESB und Gerichten, widerborstigen Eltern Grenzen aufzuzeigen und Konsequenzen anzudrohen, wenn sie diese Grenzen überschreiten. Konkret bedeutet das, dass man dem renitenten Elternteil androhen muss, dass, wenn er weiterhin die Impfung oder das Besuchsrecht hintertreibt, ihm das Aufenthaltsbestimmungsrecht (Obhut) entzogen wird und das Kind beim anderen Elternteil oder sogar fremd platziert wird. Nur so kann man gestörte Elternteile zur Räson bringen. Räson ist in diesem Kontext wohl das falsche Wort, denn mehr als widerwillige Kooperation kann man nicht erzwingen, denn die Einsicht fehlt bei diesen auch weiterhin.

Leider scheuen KESB und Gerichte regelmässig ein konsequentes Vorgehen. Es wird argumentiert, dass die zwangsweise Durchsetzung einer Impfung oder einer Betreuungsregelung mittels polizeilichem Zwang oder der Entzug der Obhut und eine anderweitige Platzierung dem Kindeswohl widerspreche, weshalb auf die Durchsetzung des rechtmässigen Zustandes verzichtet wird. Das ist aber nur eine Scheinargumentation, mithin eine simple Ausrede. Wohl betreffen solche Massnahmen ein Kind erheblich, jedoch ist davon auszugehen, dass der unkooperative Elternteil schnell einlenkt, wenn KESB und Gerichte knallharte Entscheide treffen. Und wenn dieser trotzdem nicht nachgeben sollte, so ist es sowieso viel schädlicher für das Kind, wenn dieses weiterhin durch einen gestörten Elternteil vereinnahmt und manipuliert wird.

Solch ein beharrliches Vorgehen hat auch einen generalpräventiven Aspekt. Wenn querulatorische Elternteile wissen, dass KESB oder Gerichte entschlossen handeln, werden diese es weniger wagen, Regeln zu brechen. Allerdings gibt es eine grosse Anzahl von total uneinsichtigen Elternteilen, die sich gar nichts und von Niemanden sagen lassen. Hier wäre ein Entzug des Aufenthaltsbestimmungsrechts allemal in Erwägung zu ziehen.

Das Versagen des Rechtsstaates beginnt jedoch schon viel früher. Verfahren im Kindesrecht sind zu formalistisch und dauern deshalb einfach viel zu lange. Beschleunigungsgebot ist ein Fremdwort. Das Verfahrensrecht gibt den gestörten Elternteilen viel zu viele Möglichkeiten, das Verfahren unendlich in Länge zu ziehen. Verzögerung ist somit systemimmanent. Zunächst wird langatmig der Sachverhalt abgeklärt und den Verfahrensbeteiligten wird immer wieder die Möglichkeit gegeben, Stellung zu nehmen (rechtliches Gehör). Dabei werden regelmässig Fristerstreckungs- und Verschiebungsgesuche gestellt, die meist auch bewilligt werden. Oder Verhandlungstermine müssen mit Anwälten abgesprochen werden, was auch zu Verzögerungen führt. So dauert es ewig bis KESB oder Gerichte überhaupt in der Lage sind, einen Entscheid zu fällen. Auf das begründete Urteil kann man dann auch noch monatelang warten. Und schliesslich müssen sich noch Rechtsmittelinstanzen mit dem Fall befassen. Währenddessen wird der Status quo aufrecht erhalten, was sehr problematisch ist, da bei Kindern der Zeitfaktor viel stärker als bei normalen Zivilverfahren ins Gewicht fällt.

Bsp.: Die Kindesmutter will mit dem Kind, das bei ihr lebt, in ihr Heimatland zurückkehren, jedoch verweigert der Kindesvater die Zustimmung. Folglich braucht es eine Zustimmung der KESB oder des Gerichts für den Wechsel des Aufenthaltsortes. Auch wenn die Rechts- und Sachlage im konkreten Fall klar ist, kann der renitente Kindesvater den definitiven Entscheid locker ein bis zwei Jahre herauszögern. In der Zwischenzeit bleibt das Kind hier und nicht selten scheitert der Wegzug wegen der Verzögerungstaktik endgültig. Es besteht somit eine erhebliche Diskrepanz zwischen Recht und Rechtsdurchsetzung. Und wieder zeigt sich, dass obstruktives Verhalten im Kindesrecht sich schliesslich auszahlt.

Es gibt allerdings ein Gebiet im Kindesrecht, wo der Rechtsstaat stark ist und sich nicht durch egoistische Elternteile erpressen lässt. Das ist bei internationalen Kindesentführungen der Fall. Hier setzen Gerichte das Haager Kindesentführungsübereinkommen konsequent und schnell durch und veranlassen auch, falls nötig, die polizeiliche Rückführung. Solch ein stringentes Vorgehen sollte ganz allgemein als Vorbild im Kindesrecht im Umgang mit renitenten Elternteilen dienen.

Und zum Schluss noch Folgendes: Der Kanton Basel-Landschaft hat fünf Bezirke, aber sechs KESB, das bei ca. 300‘000 Einwohnern. Da muss man sich nicht wundern, wenn die Kindes- und Erwachsenenschutzbehörden in Basel-Land so schlecht aufgestellt sind (vgl. auch den Beitrag vom 29.1.2024). Angezeigt wären zwei bis drei KESB. Weniger ist hier eindeutig mehr.