Rückweisung und Verjährung

Das Obergericht hob mit Beschluss vom 24. Januar 2024 (SB230113) aus formellen Gründen (namentlich mangelhafte Anklageschrift) zwei Urteile des Bezirksgerichts Zürich vom 11. April 2022 und vom 22. August 2022 (DG200213) in Sachen Pierin Vincenz und Co. auf.

Da fragt sich zunächst, wie es mit der Verfolgungsverjährung steht. Gemäss Art. 97 Abs. 3 StGB tritt die Verjährung nicht mehr ein, wenn vor Ablauf der Verjährungsfrist ein erstinstanzliches Urteil ergangen ist. Wenn nun aber das erstinstanzliche Urteil vollumfänglich aufgehoben worden ist, liegt demzufolge noch noch kein erstinstanzliches Urteil vor, weshalb der Eintritt der Verjährung eigentlich noch möglich sein sollte. Diese Betrachtungsweise würde im vorliegenden Fall bedeuten, dass das Verfahren wegen Verjährung wohl gänzlich eingestellt werden müssten. Das Obergericht erläuterte jedoch, dass diese Auffassung nicht stimmt und die Verjährung gestoppt ist:

6.2. (…) Auch in Nachachtung des Beschleunigungsgebots erscheint die direkte Rückweisung an die Staatsanwaltschaft als geboten, auch wenn eine Verjährungsproblematik mit Blick auf die gefestigte bundesgerichtliche Praxis, wonach ein beurteilter Sachverhalt nach Aufhebung eines erstinstanzlichen Urteils nicht mehr verjähren kann (BGE 143 IV 450 E. 1.2. mit Hinweisen; Urteil 6B_834/2020 vom 3. Februar 2022 E. 1.4.3. mit Hinweisen), nicht im Vordergrund steht. (…)

Das Bundesgericht führte im Urteil vom 3. Februar 2020 (6B_834/2020) Folgendes aus:

1.4.3. Soweit der Beschwerdeführer zumindest sinngemäss argumentiert, das Verfahren sei infolge Eintritts der Verjährung einzustellen bzw. es sei auf die bundesgerichtliche Rechtsprechung zur Hinderung des Verjährungseintritts zurückzukommen, sind seine Vorbringen unbegründet. Der nach Art. 104 StGB auch auf Übertretungen anwendbare Art. 97 Abs. 3 StGB (BGE 135 IV 196 E. 2.3) bestimmt, dass die Verjährung nicht mehr eintritt, wenn vor Ablauf der Verjährungsfrist „ein erstinstanzliches Urteil ergangen“ ist. Dies gilt nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung auch in jenen Fällen, in denen das erstinstanzliche Urteil später in Gutheissung eines Rechtsmittels aufgehoben und die Sache an das erstinstanzliche Gericht oder an die Staatsanwaltschaft zurückgewiesen wird (Urteile 6B_1408/2017 vom 13. Juni 2018 E. 1.4.1; 6B_692/2017 vom 13. April 2018 E. 1; je mit Hinweisen; zur Beschwerde an das Bundesgericht BGE 143 IV 450 E. 1.2). Das Bundesgericht hat sich erst vor Kurzem mit dem Ansinnen eines Beschwerdeführers auseinandergesetzt, auf die dargestellte Rechtsprechung zurückzukommen (vgl. Urteil 6B_696/2021 vom 1. November 2021 E. 3.2). Wie in jenem Urteil zeigt auch der Beschwerdeführer im vorliegenden Verfahren nicht auf und es ist auch nicht ersichtlich, dass die Voraussetzungen für eine Praxisänderung gegeben sind (siehe hierzu BGE 147 V 342 E. 5.5.1; 139 IV 62 E. 1.5.2; je mit Hinweisen). Im Übrigen kann vollumfänglich auf die Urteile 6B_696/2021 vom 1. November 2021 E. 3.2 und 6B_692/2017 vom 13. April 2018 E. 1 verwiesen werden, in denen das Bundesgericht auf die vom Beschwerdeführer teilweise angeführte abweichende Meinung in der Literatur Bezug genommen hat (siehe auch die zutreffenden Ausführungen im Urteil S. 11 ff.).

Daraus ist ersichtlich, dass diese Rechtsprechung nicht in Stein gemeisselt ist, weshalb die Verteidiger nach Gründen suchen werden, um den Eintritt der Verjährung geltend machen zu können. Allerdings dürfte es extrem schwierig sein, einigermassen vernünftige Argumente für eine Praxisänderung zu finden, wenn man die Begründung des Bundesgerichts im Urteil vom 13. April 2018 (6B_692/2017) betrachtet:

1. (…) Ob ein Berufungsgericht oder das Bundesgericht das erstinstanzliche Urteil kassiert und die Sache zu neuer Beurteilung zurückweist, ist irrelevant.

Mit Blick auf diese Rechtsprechung ist der Hinweis des Beschwerdeführers auf die Kommentierung von MATTHIAS ZURBRÜGG, in: Basler Kommentar, Strafrecht, 3. Aufl. 2013, N. 70 zu Art. 97 StGB unbehelflich. Wie die Vorinstanz zu Recht festhält, ist das Bundesgericht der darin geäusserten Lehrmeinung, dass ein erstinstanzliches Urteil, welches kassiert und zurückgewiesen werden muss, als nicht existent zu werten ist, nicht gefolgt.

Vor diesem rechtlichen Hintergrund ist nachvollziehbar, warum das Bezirkgericht Zürich die Anklage nicht zur Verbesserung an die Staatsanwaltschaft zurückgewiesen hat, denn dann hätten sich die Beschuldigten in die Verjährung retten können. Wie immer gilt auch hier, dass bis zu einem rechtskräftigen Urteil die Unschuldsvermutung gilt.