Gemeinsame Obhut und alleinige elterliche Sorge

Das Bundesgericht hat in seinem Urteil vom 20. Dezember 2023 (5A_33/2023) entschieden, dass bei Bestehen der gemeinsamen bzw. alternierenden Obhut einem Elternteil nicht die alleinige elterliche Sorge zugewiesen werden darf. Die alternierende Obhut setzt die gemeinsame elterliche Sorge voraus. Allerdings wird die Vorinstanz zu prüfen haben, ob die gemeinsame elterliche Sorge in Teilbereichen einzuschränken ist.

Sachverhalt:

A.b. Am 28. Januar 2019 klagte B.A.________ beim Bezirksgericht auf Scheidung der Ehe. Dieses holte einen Bericht des Beistands der Kinder ein, hörte die Kinder an und bestellte ihnen, nachdem eine Mediation gescheitert war, eine Vertreterin. Am 13. Juli 2021 ging beim Gericht ein psychologisches Gutachten zur Betreuungs- und Erziehungsfähigkeit der Eltern ein. In der Folge konnten diese sich mit Ausnahme der elterlichen Sorge im Wesentlichen auf die Scheidungsnebenfolgen einigen und schlossen am 29. Oktober 2021 eine entsprechende Teilvereinbarung. Dabei nahmen sie die wechselnde Betreuung der Kinder bei gemeinsamer Obhut in Aussicht. Mit Urteil vom 13. Mai 2022 schied das Bezirksgericht die Ehe und genehmigte die Teilvereinbarung vom 29. Oktober 2021. Im Weiteren traf es die folgenden Anordnungen:

„2. [B.A.________ wird die alleinige elterliche Sorge für die Kinder C.A.________ […] und D.A.________ übertragen. Vorbehalten bleibt Dispositiv-Ziffer 3 dieses Urteils.
3. Das Aufenthaltsbestimmungsrecht für die Kinder C.A.________ […] und D.A.________ steht den Parteien weiterhin gemeinsam zu.
4. Die Obhut für die Kinder C.A.________ […] und D.A.________ wird beiden Parteien mit wechselnder Betreuung übertragen. Der zivilrechtliche Wohnsitz der Kinder ist bei [B.A.________].“

Erwägungen:

4.1. Strittig ist der Entzug des Sorgerechts des Beschwerdeführers und die Übertragung der alleinigen elterlichen Sorge auf die Beschwerdegegnerin.

4.1.1. Das Obergericht geht von einem langandauernden und schwerwiegenden Konflikt zwischen den Eltern sowie einer anhaltenden Kooperations- und Kommunikationsunfähigkeit aus. Trotz weitreichender Bemühungen der Behörden habe dieser Konflikt, der verschiedenste Aspekte der elterlichen Sorge betreffe, nicht wesentlich entschärft werden können. Es sei absehbar, dass die Parteien sich auch in Zukunft über den massgeblichen Teil der in ihrer Verantwortung liegenden Fragen nicht oder nicht innert nützlicher Frist würden verständigen können. Für die Kinder stelle diese Situation eine starke Belastung dar. Sie seien einem steten Loyalitätskonflikt ausgesetzt, was sich nachteilig auf deren Wohl auswirke. Die Alleinzuteilung der elterlichen Sorge an die Beschwerdegegnerin verspreche eine Verbesserung der Situation. Dagegen werde eine Beschränkung der Alleinsorge auf Teilbereiche der bestehenden Problematik nicht gerecht. Diese Einschätzung bleibe auch vor dem Hintergrund bestehen, dass die Parteien an der wechselnden Betreuung der Kinder festgehalten hätten. Immerhin lasse dies trotz weiterbestehender Unstimmigkeiten hoffen, dass die tägliche Betreuung der Kinder inskünftig weniger Anlass zu Konflikten geben werde.

Die Beschwerdegegnerin schliesst sich im Wesentlichen der Einschätzung des Obergerichts an. Zutreffend gehe dieses davon aus, dass Kommunikation und Vertrauen zwischen den Eltern massiv gestört seien. Entsprechend seien sämtliche behördlichen Massnahmen zur Verbesserung der Kommunikation gescheitert. Hieran habe auch die mehr schlecht als recht praktizierte alternierende Obhut nichts geändert. Tatsächlich bestünde ein erbitterter Konflikt zwischen den Eltern, der sich auch auf untergeordnete Fragen des Alltags beziehe. Die alternierende Obhut werde allein auf Wunsch der Kinder gelebt; es stelle sich daher nicht die Frage, ob die gemeinsame Sorge belassen werden solle, sondern ob der Kindesmutter (auch) die alleinige Obhut zuzuteilen sei.

4.1.2. Der Beschwerdeführer betont, dass sich der Elternkonflikt nicht auf die Kinderbelange als Ganzes beziehe, zumal die Parteien sich über die Kinderbetreuung geeinigt hätten. Das Obergericht beachte zudem die zahlreichen Beispiele gelungener Kommunikation vorab in den Bereichen Schule und Medizin aus der jüngeren Vergangenheit nicht, die einiges zahlreicher als die von der Vorinstanz angeführten Negativbeispiele seien. Damit sei die Kernvoraussetzung für die Übertragung der alleinigen Sorge an die Beschwerdegegnerin nicht gegeben. Kleinere Friktionen, wie sie noch bestehen würden, seien kein Grund für eine Alleinsorge. Soweit das Obergericht überhaupt sachverhaltsbasierte Prognosen treffe, wie es dies an und für sich durchwegs hätte tun sollen, seien diese fehlerhaft, da das Gericht auf einen veralteten bzw. selektiv festgestellten Sachverhalt abstelle. Worin in der gegebenen Situation eine Gefährdung des Kindeswohls liege, bleibe unerfindlich. Ganz im Gegenteil sei das Kindeswohl durch die alleinige Sorge der Mutter in Gefahr, weil diese beispielsweise die nötige MMR-Impfung bei der Tochter ablehne.

4.2. Die gemeinsame elterliche Sorge von Vater und Mutter bildet auch im Kontext der Ehescheidung den Grundsatz (Art. 133 Abs. 1 Ziff. 1 i.V.m. Art. 296 Abs. 2 ZGB), von dem nur dann abgewichen werden soll, wenn eine andere Lösung die Interessen des Kindes ausnahmsweise besser wahrt (BGE 143 III 361 E. 7.3.2). Die Zuteilung der elterlichen Sorge an einen Elternteil allein muss deshalb eine eng begrenzte Ausnahme bleiben (BGE 141 III 472 E. 4), die namentlich in Betracht fällt, wenn die Eltern in einem schwerwiegenden Dauerkonflikt stehen oder in Kinderbelangen anhaltend kommunikationsunfähig sind (BGE 142 III 197 E. 3.5). Vorausgesetzt ist weiter, dass sich die Probleme zwischen den Eltern auf die Kinderbelange als Ganzes beziehen und das Kindeswohl konkret beeinträchtigen (vgl. Art. 298 Abs. 1 ZGB). Erforderlich ist die konkrete Feststellung, in welcher Hinsicht das Kindeswohl beeinträchtigt ist (Urteil 5A_377/2021 vom 21. Februar 2022 E. 3.1). Schliesslich ist eine Abweichung vom Grundsatz der gemeinsamen elterlichen Sorge nur dort am Platz, wo Aussicht darauf besteht, mit der Zuteilung der elterlichen Sorge an einen Elternteil allein eine Entlastung der Situation herbeizuführen (BGE 142 III 197 E. 3.7).

4.3. In der hier zu beurteilenden Situation besteht die Besonderheit, dass den Eltern, obgleich das Sorgerecht umstritten ist, die Obhut über die Kinder, mithin deren tägliche Betreuung (BGE 142 III 612 E. 4.1), gestützt auf die im erstinstanzlichen Verfahren geschlossene Teilvereinbarung gemeinsam übertragen wurde (vgl. vorne Bst. A.b). Die Obhutsregelung, die nicht Gegenstand des Verfahrens vor Bundesgericht ist (BGE 142 I 155 E. 4.4.2; 136 II 457 E. 4.2), bleibt nicht ohne Einfluss auf den Entscheid zur elterlichen Sorge:

4.3.1. Bereits nach altem Recht kam eine alternierende Obhut nur bei gemeinsamer elterlicher Sorge in Frage (vgl. zu Art. 133 Abs. 3 ZGB in der Fassung vom 26. Juni 1998 [AS 1999 1131] Urteile 5A_69/2011 vom 27. Februar 2012 E. 2.1, in: FamPra.ch 2012 S. 817; 5A_645/2008 vom 27. August 2009 E. 6, in: Pra 2010 S. 515; 5C.42/2001 vom 18. Mai 2001 E. 3b, in: FamPra.ch 2001 S. 823). Dieser Grundsatz hat mit Inkrafttreten der Gesetzesnovelle zur elterlichen Sorge am 1. Juli 2014 (AS 2014 357) seine Gültigkeit behalten (vgl. Urteile 5A_46/2015 vom 26. Mai 2015 E. 4.4.3, in: FamPra.ch 2015 S. 981; 5A_928/2014 vom 26. Februar 2015 E. 4.3; 5A_345/2014 vom 4. August 2014 E. 4.2; vgl. auch BGE 142 III 612 E. 4.2; S. 617 E. 3.2.3). Seit der Revision des Kindesunterhaltsrechts (AS 2015 4299; in Kraft seit 1. Januar 2017) ist er in Art. 298 Abs. 2ter ZGB (betreffend verheiratete Eltern) und Art. 289b Abs. 3ter ZGB (betreffend nicht verheiratete Eltern) verankert. Demnach prüft das Gericht bzw. die Kindesschutzbehörde bei gemeinsamer elterlicher Sorge die Möglichkeit einer alternierenden Obhut. Die Einführung der alternierenden Obhut darf daher auch nach geltendem Recht nur im Rahmen der gemeinsamen elterlichen Sorge erfolgen (ausdrücklich: BBl 2014 529, 565; vgl. weiter Urteil 5A_794/2017 vom 7. Februar 2018 E. 3.1; vgl. etwa auch Urteile 5A_454/2022 vom 9. November 2022 E. 3.1; 5A_700/2021 vom 16. September 2022 E. 3.1, in: SJ 2023 S. 231; 5A_844/2019 vom 17. September 2020 E. 3.2.1; COTTIER, in: Commentaire romand, Code Civil I, 2. Aufl. 2023, N. 9 zu Art. 298 ZGB und N. 8 zu Art. 298b ZGB; AFFOLTER-FRINGELI/VOGEL, Berner Kommentar, 2016, N. 49 zu Art. 298 ZGB und N. 17 zu Art. 298b ZGB). Folglich ist es nicht vorgesehen, in Fällen der Ausübung der elterlichen Sorge durch nur einen Elternteil die alternierende Obhut anzuordnen. Das Gesetz eröffnet mit anderen Worten nicht die Möglichkeit, einem Elternteil zwar (gemeinsam mit dem anderen Elternteil) die Obhut, nicht jedoch auch das Sorgerecht zuzuweisen, wie die Vorinstanz dies möchte. Vielmehr erfordert die Zuteilung der Obhut in jedem Fall die elterliche Sorge des betreffenden Elternteils (BÜCHLER/CLAUSEN, in: FamKomm Scheidung, Band I, 4. Aufl. 2022, N. 5 zu Art. 298 ZGB).

4.3.2. Zu beachten ist ausserdem, dass eine Übereinkunft der Eltern in Kinderbelangen das Gericht aufgrund des Offizialgrundsatzes (Art. 296 Abs. 3 ZPO) nicht zu binden vermag. Ihr kommt einzig der Charakter eines gemeinsamen Antrags zu, den das Gericht in seine Entscheidung einfliessen lässt (Art. 285 Bst. d ZPO und Art. 133 Abs. 2 ZGB; BGE 143 III 361 E. 7.3.1; Urteil 5A_1031/2019 vom 26. Juni 2020 E. 2.2, in: FamPra.ch 2020 S. 1016). Dementsprechend hat das Bezirksgericht eine Regelung zur Obhut über die Kinder der Parteien getroffen, obgleich Letztere hierüber eine Vereinbarung geschlossen hatten (vgl. vorne Bst. A.b). Leitender Gedanke beim Entscheid auch über die (alternierende) Obhut ist das Kindeswohl. Entscheidwesentlich ist sodann namentlich die Erziehungsfähigkeit der Eltern sowie deren Fähigkeit und Bereitschaft, in Kinderbelangen miteinander zu kommunizieren und im Hinblick auf die notwendigen organisatorischen Vorkehrungen zu kooperieren (BGE 142 III 612 E. 4.2 und 4.3; S. 617 E. 3.2.3). Von diesen Leitlinien musste sich folglich auch das Bezirksgericht in seinem Entscheid über die Obhut leiten lassen.

4.3.3. Nach dem Ausgeführten erweist es sich als gesetzwidrig, trotz alternierender Obhut der Parteien die elterliche Sorge der Beschwerdegegnerin allein zu übertragen (vgl. E. 4.3.1 hiervor; vgl. auch Urteil 5A_685/2019 vom 9. September 2019 E. 5 a.E.). Daran ändert auch das der Vorinstanz in diesem Bereich grundsätzlich zukommende Ermessen nichts (vgl. vorne E. 2.3), da sie bei dessen Ausübung jedenfalls an den gesetzlichen Rahmen gebunden ist (vgl. HRUBESCH-MILLAUER, in: Berner Kommentar, 2012, N. 327 und 332 zu Art. 4 ZGB, mit Hinweisen). Gleichzeitig fragt sich, weshalb ein schwerer Elternkonflikt bestehen soll, der die (ausnahmsweise) Anordnung der alleinigen elterlichen Sorge rechtfertigt, obgleich die Parteien nach gerichtlicher Einschätzung ausreichend zusammenarbeiten können, damit eine alternierende Obhut angeordnet werden kann (vgl. E. 4.3.2 hiervor). Dabei ist freilich zu beachten, dass die elterliche Sorge und die Obhut nicht dieselben Bereiche betreffen (vgl. Art. 301 Abs. 1 und Abs. 1bis ZGB; BGE 147 III 121 E. 3.2.2; 142 III 612 E. 4.1) und keine direkten Schlüsse vom einen auf den anderen Bereich möglich sind. Demnach erweist die Beschwerde sich soweit die elterliche Sorge betreffend als begründet.

4.4. Damit ist das angefochtene Urteil hinsichtlich der Anordnung der alleinigen elterlichen Sorge der Beschwerdegegnerin aufzuheben. Mit Blick auf die aus den tatsächlichen Feststellungen der Vorinstanz, die der Beschwerdeführer nicht in Frage zu stellen vermag (vgl. vorne E. 3), ersichtlichen Spannungen zwischen den Eltern, die eine nicht unerhebliche Intensität aufweisen, rechtfertigt es sich indes nicht, entsprechend dem beschwerdeführerischen Hauptantrag die elterliche Sorge ohne Weiteres bei beiden Elternteilen zu belassen. Die Angelegenheit ist vielmehr entsprechend dem in der Beschwerde gestellten Eventualbegehren an die Vorinstanz zurückzuweisen (Art. 107 Abs. 2 BGG), damit diese unter Belassung der gemeinsamen elterlichen Sorge prüfe, ob sich allenfalls in Teilbereichen die Übertragung alleiniger Entscheidbefugnisse auf einen Elternteil rechtfertigt (vgl. BGE 141 III 472 E. 4.7; KILDE/STAUB, Kriterien der Zuteilung von elterlicher Sorge und Obhut bei Trennung der Eltern, in: Jungo/Fountoulakis, Elterliche Sorge, Symposium zum Familienrecht 2017, 2018, S. 215 ff., 221; HAUSHEER/GEISER/AEBI-MÜLLER : Das Familienrecht des schweizerischen Zivilgesetzbuches, 7. Aufl. 2022, Rz. 1455). Wegleitend sind die in E. 4.2 hiervor aufgezeigten Kriterien. Zu beachten ist, dass die im bundesgerichtlichen Verfahren nicht mehr strittige Obhutsregelung auch nach der Rückweisung der Sache ans Obergericht nicht mehr in Frage gestellt werden kann (vgl. Urteile 5A_125/2020 vom 31. August 2020 E. 3.2; 5A_171/2019 vom 17. April 2019 E. 2.2; 5A_851/2018 vom 26. Februar 2019 E. 1.5 [mit Hinweis auf BGE 143 IV 214 E. 5.3.3; 135 III 334 E. 2).