Zustellung von Entscheiden per A-Post Plus

Das Bundesgericht ging in seinem Urteil vom 7. November 2023 (2C_988/2022) von Folgendem aus:

A. Mit Entscheid vom 2. August 2022 wies der Rechtsdienst des Amtes für Migration und Integration des Kantons Aargau eine Einsprache von A.B.________ (geb. 1988) gegen eine Verfügung betreffend Widerruf der Niederlassungsbewilligung und Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung (Rückstufung) ab. Dieser Entscheid wurde gemäss Sendungsverfolgung der Schweizerischen Post am 3. August 2022 zugestellt.

B. Gegen den Einspracheentscheid vom 2. August 2022 erhob A.B.________, vertreten durch seinen Rechtsanwalt, mit Eingabe vom 5. September 2022 (Postaufgabe) Beschwerde beim Verwaltungsgericht des Kantons Aargau.

Der Instruktionsrichter des Verwaltungsgerichts teilte A.B.________ mit Schreiben vom 6. September 2022 mit, die 30-tägige Beschwerdefrist sei am 2. September 2022 abgelaufen. Die Beschwerde sei somit verspätet eingereicht worden, weshalb das Verwaltungsgericht voraussichtlich nicht darauf eintreten werde. Die Beschwerde könne bis zum 26. September 2022 ohne Kostenfolge zurückgezogen werden.

Mit Eingabe vom 6. Oktober 2022 machte A.B.________ geltend, der Einspracheentscheid der Vorinstanz sei ihm nicht am 3. August 2022, sondern erst am 5. August 2022 korrekt zugestellt und damit rechtsgenüglich eröffnet worden. Entsprechend sei die Beschwerdefrist erst am 5. September 2022 abgelaufen. Die Frist sei gewahrt, weshalb auf die Beschwerde einzutreten sei.

Mit Urteil vom 27. Oktober 2022 trat das Verwaltungsgericht des Kantons Aargau nicht auf die Beschwerde ein und auferlegte A.B.________ die Verfahrenskosten.

Die Zustellung von Entscheiden mit A-Post Plus ist zulässig, soweit nicht gesetzlich etwas anderes vorgesehen ist (z.B. Art. 34 VwVG).

In Straf- und Zivilverfahren ist vorgesehen, dass die Zustellung durch Einschreiben oder gegen Empfangsbestätigung (Empfangsschein) zu erfolgen hat (Art. 85 Abs. 2 StPO, Art. 138 Abs. 1 ZPO). Das Bundesgericht entschied dazu in BGE 144 IV 57 Folgendes (siehe auch meinen Beitrag vom 13.3.2018):

Eine Zustellung mit A-Post Plus genügt den gesetzlichen Anforderungen von Art. 85 Abs. 2 StPO grundsätzlich nicht. Die Zustellung kann ungeachtet der Verletzung von Art. 85 Abs. 2 StPO gültig sein, wenn die Kenntnisnahme des Empfängers auf andere Weise bewiesen werden kann und die zu schützenden Interessen des Empfängers (Informationsrecht) gewahrt werden. Bestehen besondere Zustellvorschriften, wie etwa die in Art. 85 Abs. 2 StPO vorgesehene Zustellung gegen Empfangsbestätigung, genügt es nicht, dass die Sendung in den Machtbereich des Empfängers gelangt. Massgebend ist vielmehr die tatsächliche Kenntnisnahme durch den Adressaten (E. 2.3.1 und 2.3.2).

Im bundesgerichtlichen Urteil vom 7. November 2023 war strittig, wann genau der Einspracheentscheid in den Machtbereich des Beschwerdeführers gelangt ist:

5.3.3. Verfügungen und Entscheide gelten als eröffnet, sobald sie ordnungsgemäss zugestellt sind und die betroffene Person davon Kenntnis nehmen kann. Dass sie davon tatsächlich Kenntnis nimmt, ist nicht erforderlich (BGE 142 III 599 E. 2.4.1; 122 I 139 E. 1; Urteil 2C_103/2021 vom 9. Februar 2021 E. 3.2.1). Eine der Post zuhanden des Empfängers übergebene uneingeschriebene Sendung gilt nach konstanter Praxis als zugestellt, wenn sie in den Briefkasten des Adressaten gelegt wird (Urteil 2C_1032/2019 vom 11. März 2020 E. 3.2). Das Schriftstück muss sich mithin im Machtbereich („sphère de puissance“; Urteil 2C_882/2019 vom 31. Oktober 2019 E. 4.1) der betroffenen Person befinden (Urteil 2C_463/2019 vom 8. Juni 2020 E. 3.2.2).

5.3.4. Bei der Versandmethode A-Post Plus wird der Brief mit einer Nummer versehen und ähnlich wie ein eingeschriebener Brief mit A-Post spediert. Im Unterschied zu den eingeschriebenen Briefpostsendungen wird aber der Empfang durch den Empfänger nicht quittiert. Die Zustellung wird vielmehr elektronisch erfasst, wenn die Sendung in das Postfach oder in den Briefkasten des Empfängers gelegt wird (BGE 144 IV 57 E. 2.3.1; 142 III 599 E. 2.2 mit Hinweisen). Der ständigen bundesgerichtlichen Praxis zum Verfahren „A-Post Plus“ zufolge gilt, dass mit der elektronischen Sendungsverfolgung „Track & Trace“ der Post CH AG zwar nicht bewiesen wird, dass die Sendung tatsächlich in den Empfangsbereich des Empfängers gelangt ist, sondern bloss, dass die Post CH AG einen entsprechenden Eintrag in ihrem Erfassungssystem vorgenommen hat. Im Sinne eines Indizes lässt sich aus dem Eintrag aber darauf schliessen, dass die Sendung in den Briefkasten oder in das Postfach des Adressaten gelegt wurde (BGE 142 III 599 E. 2.2; Urteile 2C_170/2022 vom 21. Dezember 2022 E. 5.3; 2C_1008/2022 vom 21. Dezember 2022 E. 3.2.1).

5.3.5. Dass die Sendung in den Briefkasten des Empfängers gelangte, hat der Absender zu beweisen. Nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung, die sich auch auf die Zustellungsart A-Post Plus bezieht, liegt ein Fehler bei der Postzustellung nicht ausserhalb jeder Wahrscheinlichkeit. Eine fehlerhafte Postzustellung ist allerdings nicht zu vermuten, sondern nur anzunehmen, wenn sie aufgrund der Umstände plausibel erscheint. Auf die Darstellung des Adressaten, dass eine fehlerhafte Postzustellung vorliegt, ist daher abzustellen, wenn seine Darlegung der Umstände nachvollziehbar ist und einer gewissen Wahrscheinlichkeit entspricht, wobei sein guter Glaube zu vermuten ist (BGE 142 III 599 E. 2.4.1). Rein hypothetische Überlegungen des Empfängers genügen hingegen nicht (Urteile 2C_170/2022 vom 21. Dezember 2022 E. 5.2; 2C_16/2019 vom 10. Januar 2019 E. 3.2.2; 4A_10/2016 vom 8. September 2016 E. 2.2.1, nicht publiziert in BGE 142 III 671; 2C_165/2015 vom 21. Februar 2015 E. 2.3). Eine Verwechslung bei der Zustellung aufgrund gleicher oder ähnlich lautender Familiennamen kann als nachvollziehbarer Umstand gelten, der eine fehlerhafte Postzustellung plausibel erscheinen lassen kann (vgl. Urteil 1C_330/2016 vom 27. September 2016 E. 2.6).

5.4. Indem der Beschwerdeführer gestützt auf ein entsprechendes Bestätigungsschreiben des Nachbarn und Fotos der Briefkastenanlage darlegte, der Einspracheentscheid sei am 3. August 2022 in den Briefkasten seines Nachbarn gelegt worden, der den gleichen Familiennamen trage, und dieser habe die Sendung am 5. August 2022 in den Briefkasten des Beschwerdeführers gelegt, machte er nachvollziehbare Umstände geltend, die eine fehlerhafte Zustellung plausibel erscheinen lassen. Sein guter Glaube ist zu vermuten. Es ist daher auf die Darstellung des Beschwerdeführers abzustellen, wonach ihm der Einspracheentscheid erst am 5. August 2022 zugestellt wurde.

Zunächst ist zu sagen, dass es aus anwaltlicher Sicht nicht sehr intelligent war, die Frist bis zum letzten Tag auszureizen, zumal man davon ausgehen musste, dass das Zustelldatum strittig sein könnte, was vorliegend ja gerade der Fall war.

Die Zustellart „A-Post Plus“ ist meines Erachtens in Bezug auf die Zustellung von Entscheiden sehr fragwürdig. Damit wird zum Nachteil des Empfängers das Zustelldatum festgelegt. Der Empfänger muss demzufolge jeden Tag seinen Briefkasten kontrollieren, damit er den Tag der Zustellung erfährt, was für die Fristberechnung notwendig ist.

Bei Einschreiben muss der Empfänger dagegen innerhalb der Zustellfrist die Sendung in Empfang nehmen. Damit hat er die Möglichkeit, den Empfang von Sendungen zeitlich zu organisieren, namentlich bei Abwesenheit. Diese Möglichkeit besteht bei A-Post Plus nicht. Zudem ist es bei Einschreiben nicht erforderlich, jeden Tag den Briefkasten zu leeren.

Bei der Zustellung per A-Post Plus stellt man auf die Zuverlässigkeit der Schweizerischen Post ab, allerdings ist diese heute in keinster Weise mehr gewährleistet (vgl. die Beiträge vom 18.3.2013, 10.2.2017, 4.8.2017 und 29.10.2017). Vielmehr ist die Post heutzutage zu einem Saftladen verkommen. Deshalb wäre es angezeigt, auf die Zustellung von Entscheiden mittels A-Post Plus gänzlich zu verzichten, zumal bewährte Alternativen bestehen.

Alle, die laufende Verfahren haben, bei denen eine Zustellung per A-Post Plus möglich ist, müssen folglich täglich ihren Briefkasten kontrollieren. Die allgemeine Bestreitung, dass man den Brief nicht erhalten habe, dürfte in der Regel kaum ausreichen. Auch auf eine Ferienabwesenheit kann man sich nicht berufen, denn bei laufenden Verfahren muss jederzeit mit der Zustellung von Entscheiden gerechnet werden. So führte das Bundesgericht zum Beispiel im Urteil vom 26. Oktober 2023 (6B_826/2023) in Bezug auf Einschreiben Folgendes aus:

2.2. Die Zustellung einer eingeschriebenen Postsendung, die nicht abgeholt worden ist, gilt nach Art. 85 Abs. 4 lit. a StPO am siebten Tag nach dem erfolglosen Zustellungsversuch als erfolgt, sofern die Person mit einer Zustellung rechnen musste (sog. Zustell- oder Zustellungsfiktion; BGE 143 III 15 E. 4.1; 138 III 225 E. 3.1). Die Begründung eines Prozessrechtsverhältnisses verpflichtet die Parteien, sich nach Treu und Glauben zu verhalten und unter anderem dafür zu sorgen, dass ihnen behördliche Akten zugestellt werden können, welche das Verfahren betreffen (BGE 146 IV 30 E. 1.1.2; 141 II 429 E. 3.1; 138 III 225 E. 3.1; Urteile 6B_1057/2022 vom 30. März 2023 E. 1.1.; 6B_368/2022 vom 29. Juni 2022 E. 3; 6B_548/2022 vom 30. Mai 2022 E. 3.4; 6B_110/2016 vom 27. Juli 2016 E. 1.2, nicht publiziert in: BGE 142 IV 286; je mit Hinweisen). Von einer verfahrensbeteiligten Person wird namentlich verlangt, dass sie für die Nachsendung ihrer an die bisherige Adresse gelangenden Korrespondenz besorgt ist und der Behörde gegebenenfalls längere Ortsabwesenheiten mitteilt oder eine Stellvertretung ernennt (vgl. BGE 146 IV 30 E. 1.1.2; 141 II 429 E. 3.1; 139 IV 228 E. 1.1; Urteile 6B_880/2022 vom 30. Januar 2023 E. 2.1; 6B_1455/2021 vom 11. Januar 2023 E. 1.1; 6B_1083/2021, 6B_1084/2021 vom 16. Dezember 2022 E. 5.2, nicht publiziert in: BGE 149 IV 105). Diese Obliegenheit beurteilt sich nach den konkreten Verhältnissen und dauert nicht unbeschränkt an (Urteil 6B_324/2020 vom 7. September 2020 E. 1.2 mit Hinweisen). Das Bundesgericht hat hinsichtlich der gebotenen Aufmerksamkeitsdauer verschiedentlich einen Zeitraum von bis zu einem Jahr seit der letzten verfahrensrechtlichen Handlung der Behörde als vertretbar bezeichnet (Urteil 6B_674/2019 vom 19. September 2019 E. 1.4.3).