Es gilt der Grundsatz, dass bei der Scheidung Vorsorgeansprüche hälftig geteilt werden (früher Art. 122 ZGB):
Art. 123 Abs. 1 ZGB
1 Die erworbenen Austrittsleistungen samt Freizügigkeitsguthaben und Vorbezügen für Wohneigentum werden hälftig geteilt.
(…)
Per 1. Januar 2017 trat jedoch ein neuer Artikel in Kraft, der diesen Grundsatz relativiert:
Art. 124b ZGB
1 Die Ehegatten können in einer Vereinbarung über die Scheidungsfolgen von der hälftigen Teilung abweichen oder auf den Vorsorgeausgleich verzichten, wenn eine angemessene Alters- und Invalidenvorsorge gewährleistet bleibt.
2 Das Gericht spricht dem berechtigten Ehegatten weniger als die Hälfte der Austrittsleistung zu oder verweigert die Teilung ganz, wenn wichtige Gründe vorliegen. Ein wichtiger Grund liegt insbesondere vor, wenn die hälftige Teilung unbillig wäre:
1. aufgrund der güterrechtlichen Auseinandersetzung oder der wirtschaftlichen Verhältnisse nach der Scheidung;
2. aufgrund der Vorsorgebedürfnisse, insbesondere unter Berücksichtigung des Altersunterschiedes zwischen den Ehegatten.
3 Das Gericht kann dem berechtigten Ehegatten mehr als die Hälfte der Austrittsleistung zusprechen, wenn er nach der Scheidung gemeinsame Kinder betreut und der verpflichtete Ehegatte weiterhin über eine angemessene Alters- und Invalidenvorsorge verfügt.
Der Bundesrat führte in der Botschaft vom 29. Mai 2013 diesbezüglich Folgendes aus:
In Übereinstimmung mit der Expertenkommission steht der Bundesrat hinter dem Grundsatz der hälftigen Teilung der während der Ehe erworbenen Ansprüche aus beruflicher Vorsorge. Wie bisher soll es auch dabei bleiben, dass die Gerichte den Vorsorgeausgleich von Amtes wegen vornehmen (Art. 280 ZPO). Der Bundesrat sieht keine Möglichkeit, wie der Gesetzgeber noch deutlicher zum Ausdruck bringen könnte, dass der Vorsorgeausgleich nicht eine rein private Angelegenheit ist, weil er wegen des engen Zusammenhangs mit der Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenvorsorge auch öffentliche Interessen berührt. Der Bundesrat hält es allerdings für unerlässlich, Ausnahmen vom Grundsatz der hälftigen Teilung vorzusehen. Er hält es insbesondere für geboten, den Ehegatten den nötigen Handlungsspielraum zu belassen. Diese kennen ihre wirtschaftliche Situation und ihre Vorsorgebedürfnisse am besten. Sie sollen deshalb auch das Recht haben, sich einvernehmlich auf den Vorsorgeausgleich oder auf den ganzen oder teilweisen Verzicht darauf zu verständigen, wenn dadurch ihre angemessene Vorsorge gewährleistet bleibt (Art. 124b Abs. 1 E-ZGB). Das Gericht hat dabei von Amtes wegen zu prüfen, ob die Voraussetzungen für den Verzicht gegeben sind (Art. 280 Abs. 3 E-ZPO).
Der Vorentwurf sah vor, dass das Gericht die hälftige Teilung nur verweigern kann, wenn diese offensichtlich unbillig wäre. Im Vernehmlassungsverfahren wurde diese Regelung als zu restriktiv und der Begriff der offensichtlichen Unbilligkeit als zu offen kritisiert. Der Entwurf orientiert sich nun am Vorschlag der Expertenkommission und sieht vor, dass das Gericht die hälftige Teilung zu verweigern hat, wenn wichtige Gründe vorliegen. Der Begriff der «wichtigen Gründe» wird mit zwei nicht abschliessenden Tatbeständen konkretisiert. Die Teilung ist beispielsweise analog zur heutigen Regelung zu verweigern, wenn sie aufgrund der güterrechtlichen Auseinandersetzung oder der wirtschaftlichen Verhältnisse nach der Scheidung unbillig wäre. Ein wichtiger Grund liegt aber auch vor, wenn zwischen den Ehegatten ein grosser Altersunterschied besteht und sich bei der Berücksichtigung der Vorsorgebedürfnisse deshalb eine hälftige Teilung der Ansprüche als unbillig herausstellt. In diesem Fall kann es nämlich sein, dass die schematische hälftige Teilung den älteren Ehegatten deutlich stärker als den jüngeren treffen würde.
Die Expertenkommission schlug vor, unter eng definierten Voraussetzungen auch eine überhälftige Teilung der während der Ehe erworbenen Austrittsleistung zuzulassen. Der Bundesrat lehnte dies bei der Verabschiedung des Vorentwurfs vom Dezember 2009 ab, um eine Verkomplizierung der Rechtslage zu verhindern. Im Vernehmlassungsverfahren wurde diese Entscheidung allerdings bemängelt mit der Begründung, dass in der Praxis durchaus das Bedürfnis bestehe, auch überhälftige Teilungen anzuordnen . Der Bundesrat übernimmt aus diesem Grund im Entwurf die Möglichkeit, dem berechtigten Ehegatten mehr als die Hälfte der Austrittsleistung zuzusprechen, wenn qualifizierte Umstände vorliegen (Art. 124b Abs. 3 E-ZGB). Im Übrigen können auch die Parteien eine überhälftige Teilung der Austrittsleistungen vereinbaren (Art. 124b Abs. 1 E-ZGB). Auf diese Weise wird dem Bedürfnis nach grösserer Absicherung der schwächeren Partei Rechnung getragen.
(…)
Art. 124b Ausnahmen
Artikel 124b regelt, unter welchen Voraussetzungen das Gericht oder die Ehegatten vom Grundsatz der hälftigen Teilung abweichen können. Wie im geltenden Recht wird zwischen dem Fall unterschieden, dass sich die Ehegatten auf eine Ausnahme verständigen (Absatz 1), und dem Fall, dass das Gericht eine Ausnahme vom Grundsatz der hälftigen Teilung verfügt (Absatz 2). Neu ist die Verankerung der Möglichkeit, eine überhälftige Teilung zu vereinbaren oder anzuordnen (Abs. 1 und 3).
Absatz 1: Die Ehegatten können wie unter geltendem Recht in einer Vereinbarung über die Scheidungsfolgen auf die Teilung der Vorsorgeansprüche ganz oder teilweise verzichten. Die Hürden für den Verzicht werden gemäss dem Entwurf allerdings herabgesetzt: Während der geltende Artikel 123 Absatz 1 für den Verzicht voraussetzt, dass die Vorsorge des verzichtenden Ehegatten auf andere Weise gewährleistet ist, verlangt der neue Artikel 124b, dass eine angemessene Alters- und Invalidenvorsorge gewährleistet bleibt. Diese Regelung ist unabhängig davon anwendbar, ob im Zeitpunkt der Einleitung des Scheidungsverfahrens bereits ein Vorsorgefall eingetreten ist oder nicht.
Nach geltendem Recht könnte das Gericht den Verzicht auf die Teilung nur unter der Voraussetzung bewilligen, dass ein gleichwertiges Vorsorgesurrogat bei der verzichtenden Partei vorhanden ist. Das Surrogat muss in quantitativer Hinsicht dem entsprechen, worauf verzichtet wird. So kann beispielsweise die Partei, die einen Ausgleichsanspruch von 40 000 Franken hat und über eine güterrechtlich nicht teilungspflichtige Säule 3a im Wert von 30 000 Franken verfügt, auf 30 000 Franken verzichten. Beträgt das Vorsorgekapital aus der 3. Säule 40 000 Franken oder mehr, kann sie auf den ganzen Ausgleichsanspruch verzichten. Der Entwurf erlaubt auch in weiteren Fällen einen Verzicht auf die Teilung, namentlich wenn es im konkreten Fall danach aussieht, dass der verzichtende Ehegatte auch ohne Vorsorgeausgleich über eine angemessene Alters- und Invalidenvorsorge verfügt. Gedacht wird insbesondere an den Fall, in dem beide Ehegatten ihre Berufstätigkeit während der Ehe nicht eingeschränkt haben und deshalb keine ehebedingten Nachteile auszugleichen sind. Voraussetzung für den Verzicht auf die Teilung bleibt allerdings auch in diesem Fall, dass beide Ehegatten damit einverstanden sind. Ist ein Ehegatte mit dem Verzicht auf die Teilung nicht einverstanden, so hat das Gericht die hälftige Teilung der Ansprüche anzuordnen, unabhängig davon, ob die Ehegatten während der Ehe ihre Erwerbstätigkeit eingeschränkt haben oder nicht.
Die Flexibilisierung der aktuellen Verzichtsregelung wurde im Vernehmlassungsverfahren grundsätzlich begrüsst. Mehrere Teilnehmende fürchteten allerdings, dass die neue Regelung den Ehegatten zu viel Autonomie gewähre. Die Lockerung der Verzichtsvoraussetzungen ist nicht in dem Sinne zu verstehen, dass die Parteien neu über die Teilung ihrer Vorsorge frei disponieren könnten. Die verzichtende Partei hat nach wie vor dem Gericht zu erklären, warum sie auf die Teilung verzichtet und inwieweit ihre Vorsorge sichergestellt bleibt. Das Gericht hat anschliessend von Amtes wegen zu prüfen, ob die verzichtende Partei trotz Verzichts über eine angemessene Vorsorge verfügt (Art. 280 Abs. 3 E-ZPO). Ein Verzicht auf die Teilung darf insbesondere später zu keiner Überwälzung von Lasten auf die öffentliche Hand führen.
Der Entwurf sieht im Übrigen analog zur gerichtlichen Möglichkeit (Art. 124b Abs. 3) vor, dass die Ehegatten eine überhälftige Teilung festlegen können. Dies stets unter der Voraussetzung, dass dem Ehegatten, der mehr als die Hälfte seiner Ansprüche überträgt, eine angemessene Vorsorge gewährleistet bleibt. Zwischen den Ehegatten kann eine solche Teilung auch dann vereinbart werden, wenn der berechtigte Ehegatte nach der Scheidung keine Betreuungsaufgaben (Art. 124b Abs. 3) wahrnimmt.
Bei der Beurteilung der Angemessenheit der Vorsorge sind die persönlichen Verhältnisse der Partei, die auf die Teilung verzichtet oder eine überhälftige Leistung überträgt, und insbesondere deren Alter zu berücksichtigen. Verfügt diese Partei im Zeitpunkt der Einleitung des Scheidungsverfahrens lediglich über eine bescheidene berufliche Vorsorge, so hat das Gericht zu prüfen, ob sie nach der Scheidung konkret die Möglichkeit haben wird, eine adäquate Vorsorge aufzubauen. Damit sich das Gericht ein umfassendes Bild von der vorsorgerechtlichen Lage der Parteien machen kann, hat es sämtliche – auch voreheliche – Guthaben zu berücksichtigen. Bei kurzen und kinderlosen Ehen sollte in der Regel ein Verzicht auf die Teilung möglich sein. Ein Verzicht ist auch aus den Gründen möglich, die den gerichtlichen Ausschluss der Teilung nach Absatz 2 rechtfertigen.
Der Vorsorgeausgleich bleibt ein selbstständiges, vom Güter- und Unterhaltsrecht unabhängiges Rechtsinstitut. Eine unangemessene Vorsorge darf deshalb nicht mit höheren Unterhaltsbeiträgen oder einer grosszügigeren Teilung des Güterrechts kompensiert werden. Als Vorsorgekapital können wie heute auch gebundene 3. Säulen, Lebensversicherungen mit Erlebensfallkapital, Liegenschaften, ein perönliches Wohnrecht oder eine unbefristete Nutzniessung in Betracht fallen. Keine angemessene Vorsorge ist hingegen durch frei verfügbares Vermögen gewährleistet.
Der Entwurf ändert nichts daran, dass ein Verzicht auf die Teilung oder eine überhälftige Teilung der Vorsorgeansprüche nur dann gültig ist, wenn sie im Rahmen einer Scheidungskonvention vereinbart wurden. Auch in Zukunft wird es damit nicht möglich sein, in einem Ehevertrag (Art. 181 ZGB) auf den Vorsorgeausgleich ganz oder teilweise zu verzichten oder eine überhälftige Teilung der während der Ehe erwirtschafteten Vorsorgeansprüche vorzusehen.
Absatz 2: Der Entwurf lockert die Voraussetzungen dafür, dass das Gericht auch gegen den Willen der Parteien den Vorsorgeausgleich ganz oder teilweise ausschliesst. Der Vorentwurf sah vor, dass das Gericht die hälftige Teilung ganz oder teilweise verweigern muss, wenn sie offensichtlich unbillig wäre (Art. 122 Abs. 2 VE-ZGB). Der Begriff der «offensichtlichen Unbilligkeit» wurde im Vernehmlassungsverfahren als zu unbestimmt und restriktiv kritisiert. Gewünscht wurde eine Formulierung, die der Praxis mehr Spielraum gewährt. Der überarbeitete Entwurf sieht neu eine weniger restriktive Lösung vor, die sich am Vorschlag der Expertenkommission von Mai 2009 orientiert:
Das Abweichen vom Grundsatz der hälftigen Teilung ist geboten, wenn wichtige Gründe vorliegen. Diese Möglichkeit sieht das Gesetz lediglich im Falle der Teilung der Austrittsleistungen vor, also wenn der betreffende Ehegatte das reglementarische Rentenalter noch nicht erreicht hat. Hat nämlich der Ehegatte das reglementarische Rentenalter erreicht, verfügt das Gericht bereits gemäss Artikel 124a Absatz 1 über den nötigen Ermessensspielraum, bei der Teilung der Vorsorgeansprüche die Bedürfnisse des Einzelfalls genügend zu beachten. Die Gründe, die zu einer Verweigerung der Teilung führen können, müssen beim Vorsorgeausgleich nach dem Rentenalter gemäss Artikel 124a Absatz 1 bereits beim Teilungsentscheid beachtet werden (vgl. Erläuterungen zu Art. 124a). Bei dieser Teilung braucht es daher keine zusätzliche Ausnahmemöglichkeit. Artikel 124b bietet allerdings eine notwendige Korrekturmöglichkeit für die Situation, in der bei einem Ehegatten gemäss Artikel 124a die Rente geteilt wird, während beim anderen die ehelich erworbene Austrittsleistung hälftig zu teilen ist. Es ist dann besonders wichtig, dass auch bei der Teilung der Austrittsleistung eine Korrekturmöglichkeit besteht, um ein unbilliges Resultat zu vermeiden.
Im Entwurf werden nicht abschliessend zwei Anwendungsfälle genannt:
– Nach Ziffer 1 liegt ein wichtiger Grund vor, wenn die hälftige Teilung aufgrund der güterrechtlichen Auseinandersetzung oder der wirtschaftlichen Verhältnisse nach der Scheidung unbillig erscheint. Dieser Tatbestand deckt praktisch sämtliche Fälle ab, die bereits nach geltendem Recht den Ausschluss der Teilung rechtfertigen. Die Unbilligkeit ist zum Beispiel zu bejahen, wenn die erwerbstätige Ehefrau ihrem Ehemann die Ausbildung finanziert hat und dieser vor der Aufnahme der Erwerbstätigkeit steht, was ihm ermöglichen wird, eine bessere Altersvorsorge als die Ehefrau aufzubauen. Das Gleiche gilt, wenn ein Ehegatte als Angestellter arbeitet, über ein bescheidenes Einkommen und eine 2. Säule verfügt, während der andere Ehegatte als selbstständig Erwerbender über keine 2. Säule verfügt, wirtschaftlich allerdings viel besser dasteht. Die Teilung der Vorsorgeansprüche ist also unbillig, wenn die dadurch entstehende vorsorgerechtliche Situation des einen Ehegatten im Vergleich zu jener des anderen stossend wäre.
– Unter Ziffer 2 werden die Vorsorgebedürfnisse als möglicher Grund für eine Abweichung von der hälftigen Teilung genannt. Im weiteren Sinn gehören die Vorsorgebedürfnisse zu den wirtschaftlichen Verhältnissen und könnten unter Ziffer 1 subsumiert werden. Durch die Einführung der Teilung der Vorsorgeansprüche auch nach dem Vorsorgefall könnten jedoch – speziell unter dem Aspekt der Vorsorgebedürfnisse – bei einer ausnahmslosen hälftigen Teilung vermehrt unbillige Resultate auftreten. Daher scheint es gerechtfertigt, ausdrücklich auf die Vorsorgebedürfnisse hinzuweisen. Auch hier liegt die Unbilligkeit vor, wenn die durch die Teilung entstandene vorsorgerechtliche Situation des einen Ehegatten im Vergleich zu jener des anderen stossend ist.
Das Gericht muss bei einer Scheidung die Tatsache beachten, dass der invalide Ehegatte die entstandene Lücke nicht mehr durch Wiedereinzahlungen auffüllen kann (vgl. Erläuterungen zu Art. 124). Dies führt nicht automatisch zu einem unbilligen Resultat: Allein die Tatsache, dass ein Ehegatte im Zeitpunkt der Scheidung bereits über eine Invalidenrente verfügt, die gerade sein Existenzminimum deckt, stellt an sich noch keinen Grund dar, von einer hälftigen Teilung der Vorsorgeansprüche abzuweichen. Erst im Vergleich zu den Vorsorgebedürfnissen des anderen Ehegatten kann die Unbilligkeit verneint oder bejaht werden.
Die wichtigen Gründe, die zum Abweichen bzw. zum Ausschluss von der hälftigen Teilung führen, sind in Absatz 2 wie schon erwähnt nicht abschliessend aufgeführt. Es sind weitere Umstände denkbar: so beispielsweise der Fall, dass der potenziell berechtigte Ehegatte seine Pflicht, zum Unterhalt der Familie beizutragen, grob verletzt hat. Es wäre unbefriedigend, wenn der Ehegatte in diesem Fall die hälftige Teilung der Austrittsleistung trotzdem einfordern könnte.
Bei der Anwendung von Absatz 2 ist darauf zu achten, dass der Grundsatz der hälftigen Teilung der Vorsorgeguthaben, die während der Ehe aufgebaut wurden, nicht ausgehöhlt wird. Allein unterschiedliche Vermögensverhältnisse und Erwerbsaussichten genügen grundsätzlich nicht, vom Grundsatz der hälftigen Teilung abzuweichen. Der Vorsorgeausgleich hat zum Ziel, während der Ehe geäufnete Ansprüche zu teilen. Die Leistungsfähigkeit der Ehegatten ist daher grundsätzlich beim Vorsorgeausgleich nicht zu berücksichtigen, und nicht jede Ungleichheit, die nach einer hälftigen Teilung der Vorsorge entsteht oder weiter bestehen bleibt, ist ein wichtiger Grund im Sinn dieses Absatzes. Der Vorsorgeausgleich soll aber auch nicht zu geradezu unbilligen Verhältnissen führen.
Absatz 3: Das Gericht kann neu auch eine überhälftige Teilung der Austrittsleistungen anordnen. In der Lehre ist heute umstritten, ob eine solche zulässig ist. Mit einer überhälftigen Teilung wird dem Umstand Rechnung getragen, dass der berechtigte Ehegatte aufgrund der Betreuung gemeinsamer Kinder nach der Scheidung daran gehindert ist, eine volle Erwerbstätigkeit aufzunehmen bzw. eine bestehende auszubauen, und deshalb auch keine oder nur eine bescheidene Vorsorge bilden kann. Mit einer überhälftigen Teilung soll die erst nach der Scheidung entstehende Vorsorgelücke ausgeglichen werden. Dies unter der Voraussetzung, dass der belastete Ehegatte trotz überhälftiger Teilung weiterhin über eine angemessene Alters- und Invalidenvorsorge verfügt. Für die Beurteilung der Angemessenheit der Vorsorge des verpflichteten Ehegatten hat das Gericht die gleichen Grundsätze zu beachten wie bei der Überprüfung nach Absatz 1. Obwohl die überhälftige Teilung nicht ausdrücklich bei der Rententeilung nach Artikel 124a genannt wird, können die Gründe, die eine überhälftige Teilung rechtfertigen, bereits bei der Ausübung des richterlichen Ermessens berücksichtigt werden. Daher kann auch bei der Rententeilung mehr als die Hälfte der Rente zugesprochen werden.
Für die Berechnung der überhälftigen Teilung sollen die gleichen Grundsätze wie für die Festsetzung des Vorsorgeunterhalts nach Artikel 125 gelten. Die überhälftige Teilung der Vorsorgeansprüche hat gegenüber der Leistung von Vorsorgeunterhalt den Vorteil, dass die übertragenen Mittel dem Zweck der Vorsorge gebunden bleiben und dass eine Abänderung des Entscheides betreffend die Teilung der Vorsorge im Gegensatz zur Regelung des Unterhaltsrechts (Art. 129 Abs. 1) nach Eintritt der Rechtskraft des Urteils ausgeschlossen ist.
Wie das Urteil des Bundesgerichts vom 3. Oktober 2023 (5A_657/2023) zeigt, ist die hälftige Teilung von Ansprüchen aus beruflicher Vorsorge heutzutage denn auch keine Selbstverständlichkeit mehr, allerdings dürften solche Fälle in der Praxis eher selten bleiben:
Sachverhalt:
Die Parteien (beides deutsche Staatsangehörige) heirateten im Jahr 2001 in Deutschland. Sie sind Eltern von drei Kindern mit Jahrgängen 2002, 2008 und 2010. Im Verlauf des Scheidungsverfahrens verlegte die Ehefrau ihren Wohnsitz nach Deutschland. Mit Urteil vom 4. April 2022 schied das Amtsgericht Solothurn-Lebern die Ehe der Parteien und stellte die zwei noch nicht volljährigen Kinder unter die alleinige Obhut des Vaters. Weiter genehmigte es die von den Parteien abgeschlossene Teilkonvention. Sodann erkannte es, dass kein Ausgleich der Ansprüche aus beruflicher Vorsorge vorzunehmen sei. Ferner regelte es die Gerichtskosten.
(…)
Bezüglich der Regelung der beruflichen Vorsorge wendet sich die Ehefrau mit Beschwerde vom 21. September 2023 an das Bundesgericht mit den Begehren, der Vorsorgeausgleich sei von Amtes wegen vorzunehmen, die während der Dauer der Ehe erworbenen Austrittsleistungen seien hälftig zu teilen und die Pensionskasse des Ehemannes sei anzuweisen, den entsprechenden Betrag auf ihr Freizügigkeitskonto bei der Bank C.________ zu übertragen. Eventualiter verlangt sie die Rückweisung an das Obergericht zur Sachverhaltsergänzung und neuen Beurteilung.
Erwägungen:
2. Die Ehefrau war während der Ehe nicht und der Ehemann vollzeitig erwerbstätig. Sein geäufnetes Vorsorgeguthaben beträgt knapp über Fr. 200’000.−. Das Obergericht hat, unter weitgehender Verweisung auf die ausführlichen erstinstanzlichen Erwägungen, gestützt auf Art. 124b Abs. 2 ZGB von einer Teilung abgesehen. Es ist, wie bereits das Amtsgericht, davon ausgegangen, dass seit dem 1. Januar 2017 nicht mehr eine offensichtliche Unbilligkeit, sondern lediglich noch wichtige Gründe gegeben sein müssten, welche vorliegend erfüllt seien. Der Ehemann kümmere sich vollumfänglich um die unter seiner alleinigen Obhut stehenden gemeinsamen Kinder und er bestreite aus seinem Erwerbseinkommen auch vollständig den Kindesunterhalt. Soweit er sein Altersguthaben nicht teilen müsse, werde er dereinst über eine prognostizierte monatliche Rente von CHF 3’474.− verfügen. Die Ehefrau sei nach München gezogen, wo sie beim Patent- und Markenamt bei einem freiwillig auf 60 % beschränkten Pensum ein Erwerbseinkommen von EUR 3’830.− erziele. Sodann besitze sie in München vier Liegenschaften, wobei sie diese nur teilweise vermiete. Sie verzichte mithin auf eine Ausschöpfung ihrer Erwerbskraft wie auch ihrer Möglichkeit zur Erzielung von Mieteinnahmen, weil sie es sich angesichts ihrer finanziellen Situation offensichtlich leisten könne. Die wirtschaftliche Situation der Ehegatten nach der Scheidung präsentiere sich insgesamt sehr ungleich und es wäre unbillig, die Ehefrau an den während der Ehe erworbenen Vorsorgeguthaben des Ehemannes zu beteiligen.
3. Bereits das Obergericht hat der Ehefrau vorgehalten, die Berufung nur teilweise zu begründen. Vor Bundesgericht beschränkt sie sich darauf zu behaupten, die hälftige Teilung der Vorsorgeguthaben sei der Grundsatz und sie habe während der Ehe auf eine Erwerbsarbeit verzichtet, um Care-Arbeit im Sinn von Kinderbetreuung zu leisten; demgegenüber habe der Ehemann immer voll gearbeitet und deshalb im Unterschied zu ihr keine Vorsorgelücken. Sodann ergebe sich auch keine Unbilligkeit aus der güterrechtlichen Auseinandersetzung, weil die Liegenschaften ihr Eigengut seien und somit im Zusammenhang mit der Vorsorgeteilung nicht berücksichtigt werden dürften.
4. Damit äussert sich die Beschwerdeführerin primär zum Teilungsgrundsatz von Art. 123 ZGB, aber kaum und jedenfalls nicht in Auseinandersetzung mit den Erwägungen des angefochtenen Entscheides zu den Ausnahmen gemäss Art. 124b ZGB. Kernargumentation der kantonalen Gerichte ist, dass der Ehemann gleichzeitig die gesamte Betreuungs- und Finanzierungslast für die gemeinsamen Kinder trägt und zu dessen Bestreitung einem Vollzeiterwerb nachgeht, während die Beschwerdeführerin trotz fehlender Kinderbetreuungslast auf die Ausschöpfung ihrer Erwerbskraft und auch auf die Ausschöpfung der sich aus ihrem Vermögen ergebenden Einnahmemöglichkeiten verzichtet. Zu all dem äussert sich die Beschwerdeführerin nicht bzw. mit Argumenten, die an der Sache vorbeizielen (Verweis auf die Aufgabenteilung während der Ehe; Vorbringen, es stehe dem Ehemann frei, ebenfalls nach Deutschland zu ziehen, wenn ihm die Schweiz zu teuer sei; Behauptung, die Liegenschaften stünden alle in ihrem Eigengut und müssten deshalb ausser Betracht bleiben). Ersteres ist für den Vorsorgeausgleich irrelevant, da es um die wirtschaftlichen Verhältnisse nach der Scheidung geht (vgl. BGE 133 III 497 E. 4.5). Zweiteres hat − abgesehen davon, dass sich die Parteien entschieden hatten, in die Schweiz zu ziehen und hier Kinder grosszuziehen, was der Ehemann weiterhin tut − ebenfalls nichts mit dem Zweck des Vorsorgeausgleichs zu tun (vgl. Urteil 5A_211/2020 vom 3. November 2020 E. 4.2); Dritteres betrifft entgegen der Behauptung der Beschwerdeführerin durchaus die güterrechtliche Auseinandersetzung und die wirtschaftlichen Verhältnisse nach der Scheidung, und insbesondere hatten die kantonalen Gerichte mit dem Verweis auf die Liegenschaften auch im Auge, dass die Beschwerdeführerin − gleich wie bei ihrer Erwerbskraft und ihren sich hieraus ergebenden Rentenanwartschaften − freiwillig auf eine vollständige Ausschöpfung der sich aus ihren Vermögenswerten ergebenden Einkommensmöglichkeiten verzichtet. Mit all diesen Überlegungen setzt sich die Beschwerdeführerin nicht auseinander.
5. Nach dem Gesagten erweist sich die Beschwerde als offensichtlich nicht hinreichend begründet, weshalb auf sie nicht eingetreten werden kann und der Präsident im vereinfachten Verfahren entscheidet (Art. 108 Abs. 1 lit. b BGG).
Im Urteil vom 4. Juli 2023 (ZKBER.2022.44) führte die Vorinstanz (Obergericht des Kantons Solothurn) Folgendes aus:
2.1.1 Umstritten ist zur Hauptsache der Vorsorgeausgleich. Nach dem Grundsatz von Art. 122 ZGB werden die während der Ehe bis zum Zeitpunkt der Einleitung des Scheidungsverfahrens erworbenen Ansprüche aus der beruflichen Vorsorge bei der Scheidung ausgeglichen. Die erworbenen Austrittsleitungen samt Freizügigkeitsguthaben und Vorbezügen für Wohneigentum werden hälftig geteilt (Art. 123 Abs. 1 ZGB). Wenn wichtige Gründe vorliegen, spricht das Gericht dem berechtigten Ehegatten weniger als die Hälfte der Austrittsleistung zu oder verweigert die Teilung ganz. Ein wichtiger Grund liegt insbesondere vor, wenn die hälftige Teilung unbillig wäre erstens aufgrund der güterrechtlichen Auseinandersetzung oder der wirtschaftlichen Verhältnisse nach der Scheidung und zweitens aufgrund der Vorsorgebedürfnisse, insbesondere unter Berücksichtigung des Altersunterschiedes zwischen den Ehegatten (Art. 124b Abs. 2 ZGB).
2.1.2 Die Formulierung der seit 1. Januar 2017 in Kraft stehenden Bestimmung von Art. 124b Abs. 2 ZGB ist sehr offen. Bis zur Revision von 2015 waren die Voraussetzungen für eine Verweigerung erheblich strenger. Neu braucht es bloss «wichtige Gründe»; diese werden im Gesetz nicht konkretisiert. Der Unterschied zum bisherigen Recht, welches eine offensichtliche Unbilligkeit voraussetzte und damit restriktiv zu handhaben war, wird zusätzlich dadurch betont, dass die Unbilligkeit, welche mit zwei ausdrücklich nicht abschliessenden Beispielen erläutert wird, ausdrücklich nur als ein möglicher wichtiger Grund aufgeführt wird («insbesondere»). Zudem muss die Unbilligkeit nicht mehr «offensichtlich» sein. Insofern besteht der Grundsatz der Zurückhaltung auch nicht mehr. Als wichtiger Grund ausdrücklich aufgeführt ist die Unbilligkeit der Teilung auf Grund der wirtschaftlichen Verhältnisse nach der Scheidung. Diese hängt einerseits vom Ergebnis der güterrechtlichen Auseinandersetzung und andererseits von den Einkommensverhältnissen der Parteien ab. Zu beachten sind aber auch die Vorsorgebedürfnisse beider Parteien. Während im früheren Recht ein bloss wirtschaftliches Ungleichgewicht der Parteien für eine Verweigerung nicht ausreichte, genügt dies auf Grund der offeneren Formulierung nun wohl. Die Unbilligkeit muss nicht mehr zwingend in der Vorsorge liegen. Sie kann vielmehr auch die übrigen wirtschaftlichen Verhältnisse betreffen (Thomas Geiser, in: Basler Kommentar, Zivilgesetzbuch, Bd. I, 7. Aufl. 2022, N. 17 ff. zu Art. 124b ZGB).
2.2 Die Amtsgerichtspräsidentin hält im angefochtenen Urteil zum Vorsorgeausgleich fest, das während der Ehe geäufnete Guthaben in der beruflichen Vorsorge des Ehemannes belaufe sich auf CHF 204’736.70, der hälftige Anspruch der Ehefrau darauf demnach auf CHF 102’368.35. Die Ehefrau sei in der Schweiz nie berufstätig gewesen und verfüge somit nicht über ein eigenes Guthaben in der beruflichen Vorsorge. Es lägen sehr ungleiche wirtschaftliche Verhältnisse nach der Scheidung vor. Der Ehemann lebe und arbeite seit 2007 in der Schweiz und finanziere mit seinem Einkommen aus unselbständiger Erwerbstätigkeit den Lebensunterhalt für sich und die Söhne. Darüber hinaus verfüge er über keinerlei nennenswerte Vermögenswerte. Mit seinem Erwerbseinkommen von rund CHF 10’000.00 pro Monat komme er fast vollumfänglich für die Ausgaben der minderjährigen Söhne auf und betreue diese mehrheitlich. Gemäss dem Schreiben der […] Pensionskasse […] an das Gericht vom 2. September 2020 betrage seine voraussichtliche jährliche BVG-Altersrente CHF 41’255.00 pro Jahr oder CHF 3’474.00 monatlich, dies allerdings unter der Voraussetzung, dass man das im Zeitpunkt der Einleitung des Scheidungsverfahrens vorhandene BVG-Guthaben nicht teile. Die Ehefrau anderseits sei nach […] gezogen, wo sie auch wieder berufstätig sei. Sie bezahle mit dem Kindergeld ihres Arbeitgebers einzig die Krankenversicherungsprämien für die minderjährigen Söhne und habe gemäss Ziff. 3.3 der Teilscheidungskonvention den Restbetrag auf ein den Kindern zustehendes separates Konto einzubezahlen. Ihr Erwerbseinkommen sei mit EUR 3’830.00 für schweizerische Verhältnisse nicht besonders hoch, allerdings beruhe es auf einem 60%-Pensum und die Ehefrau lebe in […]. Sie sei vermögend, denn sie sei Eigentümerin von vier Liegenschaften in […] und generiere daraus Mietzinseinnahmen, wobei sie offenbar nicht alle Liegenschaften vermietet habe beziehungsweise vermiete. So habe sie in der Parteibefragung vom 7. September 2020 ausgesagt, sie wohne im Haus an der […]strasse […] in […], wo die Söhne sie besuchten. Die Wohnung an der […]strasse […] in […] sei zurzeit nicht vermietet. Aktuell lebe sie in der Wohnung an der […]strasse […] in […], ohne dass klar sei, ob sie das neu erbaute Haus in […] vermietet oder verkauft habe. Zudem arbeite sie nur zu 60% beim […], obschon sie zumindest unter der Woche keine Kinderbetreuungspflichten habe. Während der Ehemann seine wirtschaftliche Leistungskraft voll ausschöpfe, um ein möglichst grosses künftiges Vorsorgeguthaben zu generieren, tue sie dies nur teilweise, da sie sich das offenbar leisten könne. Die wirtschaftlichen Verhältnisse der Ehegatten nach der Scheidung seien daher sehr unterschiedlich und würden dies wohl auch bleiben. Eine teilweise oder die vom Gesetz als Regelfall vorgesehene hälftige Beteiligung der Ehefrau am während der Ehe erworbenen Vorsorgeguthaben des Ehemannes wäre aufgrund dieser wirtschaftlichen Ungleichheit unbillig im Sinne von Art. 124b Abs. 2 Ziff. 1 ZGB und sei somit zu verweigern.
2.3 Die Ehefrau beanstandet mit ihrer Berufung im Wesentlichen und zusammengefasst, die Vorinstanz behaupte ohne eine auch nur annähernd substantiierte oder hinreichende Prüfung pauschal sehr unterschiedliche wirtschaftliche Verhältnisse nach der Scheidung. Sie meine damit wohl ein höheres Einkommen nach Einritt des Erwerbs-Ruhestandes. Die tatsächliche Lage werde damit verkannt. Tatsächlich werde der Ehemann über Renten von mindestens CHF 4’029.00 verfügen können, wobei weitere Einkommensquellen wahrscheinlich seien. Bei ihr selber könne von einem hypothetischen Betrag von EUR 2’000.21 ausgegangen werden, wobei in Wirklichkeit ein um die hypothetischen Mieteinnahmen bereinigter Betrag von EUR 116.71 verbleibe. Dies bedeute eine massive Besserstellung des Ehemannes. Das Missverhältnis bliebe auch dann erhalten, wenn sie ihre Arbeitszeit von 60 % auf 100 % erhöhen würde, führte dies doch zu einer Erhöhung der Pension um bloss rund EUR 700.00. Gänzlich ungewiss sei es, wo die Parteien dereinst wohnen würden. Dem Ehemann stehe es erkennbar frei, seine Lebenshaltungskosten zu optimieren, falls er es in […] als vorteilhafter erachte. Ein weiteres gravierendes Versäumnis der Vorinstanz liege darin, dass sie nur die totale Verweigerung der Halbierung, nicht aber eine partielle Aufteilung in Betracht gezogen habe. Gänzlich ignoriert habe sie schliesslich auch ihren 11-jährigen Berufsverzicht aus Gründen alleiniger Care-Arbeit für ihre drei damals noch sehr jungen beziehungsweise neugeborenen Kinder. Eine weitere Unterlassung betreffe ihre sehr hohen Zuleistungen aus vorehelichen Ersparnissen für den Familienunterhalt. Trotz seines stattlichen Gehalts habe es der Ehemann nicht verstanden, auch nur minimale Rücklagen für die Kinder zu bilden. Eine Unbilligkeit im Sinne von Art. 124b Abs. 2 ZGB könne keinesfalls allein durch einen vorehelichen Vermögensunterschied der Ehepartner entstehen. Nicht beachtet habe die Vorderrichterin, dass der Ehemann noch über eine Erlebensfall-Kapital-Versicherung verfüge. Bei einer substantiierten Gesamtbetrachtung wären auch die einseitigen Aneignungen des Ehemannes vom Familienkonto auf seine Privatkonti während der Ehezeit zu erwägen. Das von ihr mit Blick auf ihre drei Kinder angelegte voreheliche Vermögen wie namentlich die Immobilien, dienten der einzigen Absicherung der Kinder und sei nicht geeignet, Nachteile für die Kinder und ihre Mutter im Rahmen von Art. 124b ZGB zu generieren. Dabei unterlasse es die Vorinstanz, die mit dem Vermögen verbundenen und durch sie zu tragenden Passiven zu thematisieren. Der Ehemann trage keineswegs allein den Unterhalt für die Kinder. Er habe schon immer eine von seinem Lohn entsprechende Beteiligung am Familienunterhalt abgelehnt. In mehrfacher Hinsicht absolut falsch sei die Behauptung, sie bezahle mit dem Kindergeld ihres Arbeitgebers einzig die Krankenversicherungsprämien der Kinder. Sie beziehe in […] kein Kindergeld, sondern der Ehemann Kinderzulagen. Für ihre Kinder bezahle sie seit jeher die Gesundheitskosten allein. Der Ehemann habe sich niemals an diesem Familienunterhalt beteiligt.
Unter Ziffer 12 der Berufungsschrift (S. 7 ff.) folgen sodann «einige Richtigstellungen zu den infolge defizitärer Erwägung irreführenden Fehldarstellungen auf S. 13 und S. 14 i.V.m. dem wortlautidentisch repetierten i.W. wahrheitswidrigen unsubstantiierten Vortrag des Berufungsgegners in der Begründung ca. auf der gesamten S. 12». Anschliessend zieht die Berufungsklägerin folgendes Fazit: «Wegen der Dauer der Ehe, wegen der «Aufgabenteilung» während der Ehe (mittels Hinterhalt herbeigeführte und von einem 1 a auf 11 a erstreckte alleinige Care-Arbeit für ihre drei Kinder; dabei zusätzlich Familienunterhalt durch ihre vom Berufungsgegner massiv geforderten Ersparnisse), wegen der unterdrückten Lebensstellung (aus dem autonomen Leben mit (Teilzeit)Erwerbstätigkeit in das pseudo-abhängige von zunehmender phys., psych. und finanzieller Gewalt durch den Berufungsgegner bestimmte Umfeld in […], […] etc.), wegen des hohen Alters und der infolge der Ehe beeinträchtigten Gesundheit der Berufenden, wegen seiner Verweigerung einer Krankenversicherung für die Familie in CH, wegen des vom EM i.W. aufgezehrten (vorgestreckte Darlehen für seine vorehelichen Schulden, seine Ausbildungsschulden BAFöG, seine Kleinkredite bei seiner […]bank) Vermögens der Berufenden und ihrer Kinder im Vergleich zum Status-Quo vor der Ehe, wegen der bis zur Ausschaffung immer ausschliesslich von der Berufenden (gerne) geleisteten Erziehung und Betreuung ihrer damals kleinen und jungen Kinder (in […] und CH), wegen seiner Ablehnung einer Trennungsvereinbarung und daraus resultierenden Notwendigkeit eines kostenintensiven Anwalts sowie gerade wegen des erzwungenen langjährigen Verzichts auf ihre Erwerbstätigkeit, hatte sie keine andere Option, als ihre frühere Tätigkeit in vereinbarungsgemässer Teilzeit bei ihrem früheren Dienstherrn in […] fortzusetzen. In Anbetracht dieser Situation verletzend und pauschal von «freiwilligem Verzicht», so auf S.12 e.g. Z.25 und willkürlich diffus aufgegriffen in S.14 Abs. c) zu sprechen, der einen der «guten Gründe» für die gesetzlich nur in Ausnahmefällen vorgesehene Verweigerung der Teilung begründen können soll, ist erkennbar unangemessen» (Berufung, S. 10).
2.4 Die Ausführungen der Berufungsklägerin sind zum Teil schwer nachvollziehbar und appellatorischer Natur. Eine fundierte Auseinandersetzung mit dem angefochtenen Urteil erfolgt nur am Rande. Soweit sie sich zum Finanzgebaren des Ehemannes während des Zusammenlebens äussert und ausführt, wer während der Ehe für welche Kosten aufgekommen ist, verkennt sie, dass solche Fragen für den Entscheid über den Vorsorgeausglich ohne Bedeutung sind. Die Amtsgerichtspräsidentin ging davon aus, dass das Vorsorgeguthaben des Ehemannes sein einziger nennenswerter Vermögenswert sei. Die Ehefrau dagegen verfüge in […] über vier Liegenschaften. Wie es sich bei diesen Liegenschaften in finanzieller Hinsicht präzis verhält, ist zwar nicht vollständig klar. Bei den Liegenschaften handelt es aber – wie beim Pensionskassenguthaben des Ehemannes – ebenfalls über Vermögenswerte, die der Altersvorsorge dienen können. Dokumentiert ist der Kauf der Wohneinheit an der […]strasse […] in […]. Der Kaufpreis von EUR 851’314.20 (vorinstanzliche Urkunde 25 der Ehefrau) wurde im Jahr 2018 finanziert durch ein Darlehen der […]bank über EUR 556’000.00 (vorinstanzliche Urkunde 26 der Ehefrau). Die Differenz zwischen Kaufpreis und Darlehen offenbart allein aufgrund dieser Liegenschaft einen respektablen Vermögenswert. Daran vermag auch nichts zu ändern, dass die Ehefrau dem Darlehensvertrag zufolge nach Fertigstellung monatlich EUR 895.00 für Zinsen und EUR 927.00 für die Amortisation leisten muss. Ihren eigenen Angaben zufolge fallen die Nebenkosten bescheiden aus, da das Haus sehr gut gedämmt sei und über eine leistungsfähige Heizung verfüge (Eheschutzgesuch vom 5. Dezember 2018, S. 11, AS 12).
Die Feststellung der Vorderrichterin, die Ehefrau könne es sich leisten, ihre wirtschaftliche Leistungskraft nur teilweise auszuschöpfen, indem sie bloss mit einem Pensum von 60 % erwerbstätig sei und auch nur einen Teil der möglichen Mietzinseinnahmen generiere, liegt vor diesem Hintergrund auf der Hand. Wenn sie ihre wirtschaftliche Leistungsfähigkeit voll ausschöpfen würde, könnte sie auch ein höheres Vorsorgeguthaben generieren. Ebenso hielt die Amtsgerichtspräsidentin in diesem Zusammenhang mit gutem Grund fest, dass der Ehemann trotz seiner Erwerbstätigkeit von 100 % aktuell fast vollumfänglich für seine Kinder aufkommt und diese betreut. Wie die Ausführungen der Vorinstanz – worauf vollumfänglich verwiesen werden kann – zeigen, sind die wirtschaftlichen Verhältnisse der Parteien nach der Scheidung sehr ungleich und dies dürfte auch so bleiben. Die Amtsgerichtspräsidentin ging folglich zu Recht davon aus, dass eine Beteiligung der Ehefrau am während der Ehe erworbenen Vorsorgeguthaben des Ehemannes im Sinne von Art. 124b Abs. 1 Ziff. 1 ZGB unbillig wäre. Die Berufung gegen Ziffer 4 des Urteils vom 4. April 2022 ist unbegründet.
Meines Erachtens sind solche Urteile doch sehr diskutabel. Obwohl sich die Ehefrau während Jahren vollumfänglich um die Kinder gekümmert hat, soll sie vorsorgerechtlich leer ausgehen, und das nur, weil sie reich ist. Dieser Fall zeigt jedoch auch, dass die Verhältnisse sehr speziell sein müssen, bis keine hälftige Teilung vorgenommen wird. Für die grosse Masse der Fälle gilt weiterhin der Grundsatz der hälftigen Teilung.
Im Übrigen führte das Obergericht in einem Urteil vom 23. Juni 2017 (LC160041-O) aus, dass eine beträchtlich Erbanwartschaft naturgemäss unsicher sei und in der Regel kein Abgehen von der hälftigen Teilung der Vorsorgeguthaben rechtfertige:
13.6.2 Was die Erbanwartschaften der Beklagten betrifft, hat die Vorinstanz zutreffend darauf hingewiesen, dass das Surrogat für die Vorsorge im Zeitpunkt der Scheidung vorhanden sein müsse, was eben gerade bei der Anwartschaft nicht der Fall sei. Sodann verwies sie darauf, dass selbst dann, wenn das Vermögen der Eltern wie vom Kläger behauptet, heute vorhanden sei, seine Berechnung des Anteils der Beklagten nicht zutreffe und offen sei, ob es im Zeitpunkt des Todes eines oder beider Elternteile noch vorhanden sei und allenfalls in welcher Höhe, zumal es den Erblassern offenstehe, dieses auch zu verbrauchen (…). Damit setzt sich der Kläger im Berufungsverfahren nicht auseinander. Wenn er davon ausgeht, die Erbanwartschaft sei vor allem deshalb zu beachten, weil sie so hoch sei, dann kann ihm nicht gefolgt werden, bleibt es doch ungeachtet der – im Übrigen bestrittenen – Höhe dabei, dass im heutigen Zeitpunkt der Bestand in hohem Masse unsicher bleibt. Insoweit hat die Gesetzesänderung nichts geändert. Nach neuem Recht genügt es zwar, dass die Vorsorge im massgeblichen Zeitpunkt, in welchem über die Teilung bzw. über die (teilweise) Verweigerung der Teilung der Vorsorgeansprüche befunden wird, angemessen gewährleistet ist (…). Das Surrogat hat damit einen (teilweisen) Verzicht oder eine (teilweise) Verweigerung der Teilung nicht gänzlich zu ersetzen. Es bleibt aber dabei, dass die angemessene Alters- und Invalidenvorsorge gewährleistet sein muss. Dies kann bei der erwähnten Unsicherheit der Erbanwartschaft der Beklagten nicht angenommen werden. Entgegen der Auffassung des Klägers verletzte bei diesem Ergebnis die Vorinstanz auch nicht das klägerische Recht auf Beweis, indem sie die Edition der Steuerunterlagen der Eltern der Beklagten nicht anordnete.LC160041-O