Wie sich Richter zu verhalten haben

Die Anzeigeerstatterin war in einem Forderungsprozess am Bezirksgericht Zürich Klägerin und verlangte einen Geldbetrag wegen unsorgfältiger und rechtswidriger ärztlicher Behandlung (Brust-OP). Der Streitwert betrug offenbar mehr als CHF 30‘000.–.

Anlässlich einer Instruktions- und Vergleichsverhandlung regte sich die Klägerin massiv über die zuständige Bezirksrichterin, welche als Referentin ihr Verfahren betreute, auf. In der Folge reichte die Klägerin bei der Verwaltungskommission des Obergerichts eine Aufsichtsbeschwerde ein. Sie verlangte, dass festzustellen sei, dass die besagte Bezirksrichterin ihre Amtspflichten verletzt habe.

Das Obergericht hielt in seinem Beschluss vom 1. Februar 2023 (VB220017-O) in allgemeiner Weise Folgendes fest:

2.3.1. (…) Die administrative Aufsichtsbeschwerde zielt auf die Person des Amtsträgers ab. Mit ihr sollen Disziplinarfehler geahndet werden. Diese können in Saumseligkeiten (d.h. in Unterlassungen pflichtgemäss beförderlichen Handelns und somit in einem schuldhafterweise zu geringen persönlichen Einsatz) oder in ungehörigem (vorwiegend subjektiv betontem und somit zu weitgehendem persönlich bestimmtem) Handeln bestehen (vgl. Hauser/Schweri/Lieber, a.a.O., § 82 N 20 und N 43 m.w.H.). Richterinnen und Richter der Bezirksgerichte unterstehen der Personalgesetzgebung (§ 1 Abs. 1 PG; LS 177.10). Sie haben sich rechtmässig zu verhalten, die Rechte und Freiheiten des Volkes zu achten, die ihnen übertragenen Aufgaben persönlich, sorgfältig, gewissenhaft und wirtschaftlich auszuführen und die Interessen des Kantons in guten Treuen zu wahren (§ 49 PG). Aus der Treuepflicht folgt, dass Richterinnen und Richter gehalten sind, sich sowohl innerhalb als auch ausserhalb ihres Amtes der Achtung und des Vertrauens würdig zu erweisen, das ihre amtliche Stellung erfordert. Besondere Verhaltenspflichten innerhalb eines Verfahrens ergeben sich ferner aus dem Anspruch auf ein unabhängiges und unparteiisches Gericht (Art. 30 Abs. 1 der Bundesverfassung [BV, SR 101] und Art. 6 Ziff. 1 EMRK), wobei die richterliche Unabhängigkeit die Treuepflicht bis zu einem gewissen Grad wiederum konkretisiert und auch begrenzt (Gutachten EJPD, Bundesamt für Justiz, vom 23. Oktober 2007 über die Amtspflichten der Richterinnen und Richter der erstinstanzlichen Bundesgerichte, in: VPB 3/2008 vom 3. September 2008, 2008.24, S. 312).

2.3.2. Die Fairness eines Verfahrens zeigt sich wesentlich am Verhalten der Richterinnen und Richter gegenüber den Parteien. Von ihnen gefordert werden nebst Menschenkenntnis, Lebenserfahrung, gefestigten Überzeugungen sowie einer integren Lebensführung, eine Begegnung mit Höflichkeit, Geduld, Takt und Anstand, ebenso die Fähigkeiten, die eigenen Emotionen unter Kontrolle halten zu können, sich in ihrer Ausdrucksweise grundsätzlich zurückzuhalten und negative Bemerkungen, welche sich gegen die Person einer Verfahrenspartei richten, zu unterlassen, sowie die Befähigungen zur Kommunikation mit den Prozessparteien, zur Gelassenheit und zur Selbstkritik. In der lebendigen Atmosphäre des Verfahrens werden sich Richterinnen und Richter spontaner Reaktionen allerdings nicht immer enthalten können. Dementsprechend kann eine vollkommene Abgeklärtheit nicht in jeder Situation gleichermassen erwartet werden (Entscheid des Bundesgerichts 1P.514/2002 vom 13. Februar 2003 E. 2.7). Nicht jede Ungeschicklichkeit, verbale Entgleisung, Unhöflichkeit und Ungehaltenheit ist daher als Ausdruck von Parteilichkeit zu qualifizieren (Entscheid des Bundesgerichts 1B_93/2017 vom 18. Mai 2017, E. 2.4.1). Erlaubt ist insbesondere das Vorbringen von Kritik an der Verfahrensführung der Beteiligten (Entscheid des Bundesgerichts 1B_214/2016 vom 28. Juli 2016 E. 3.4). Problematisch können jedoch bspw. Äusserungen sein, welche eine bestimmte Qualität erreichen, despektierlich, kränkend oder beleidigend sind und eine persönliche Abneigung und Geringschätzung zum Ausdruck bringen. Ebenso heikel können grob unsachliche Bemerkungen, die Demonstration von Bestrafungswillen oder Humor auf Kosten der Verfahrensbeteiligten sein (Entscheid des Bundesgerichts 1B_214/2016 vom 28. Juli 2016 E. 3.4). Nicht wesentlich ist sodann die Form der Äusserung, d.h. ob sie mündlich oder schriftlich bzw. durch Mimik oder Gestik erfolgt ist (Kiener, Richterliche Unabhängigkeit: Verfassungsrechtliche Anforderungen an Richter und Gerichte, Bern 2001, S. 100 ff., S. 102 Fn 187 m.w.H.; Albrecht, Was zeichnet gute Richterinnen und Richter aus?, in: Schindler/Sutter [Hrsg.], Akteure der Gerichtsbarkeit, Zürich/St. Gallen 2007, S. 3 f.). Nicht jeder prozessuale Fehler eines Gerichtsmitgliedes rechtfertigt jedoch ein Eingreifen der Aufsichtsbehörde bzw. die Anordnung von aufsichtsrechtlichen Massnahmen. Vielmehr muss das prozessuale Fehlverhalten eine gewisse Schwere aufweisen, verletzt worden sein muss eine bedeutsame Pflicht bzw. eine wesentliche Amtspflicht, welche über eine einfache Rechtsverletzung hinausgeht, was z.B. bei einer leichtfertigen Amtsführung oder einem missbräuchlichen Gebrauch der Amtsbefugnisse der Fall ist (ZR 86 [1987] Nr. 78 E. III mit Verweis auf Hauser/Hauser, Erläuterungen zum Gerichtsverfassungsgesetz des Kantons Zürich, 3. Aufl., S. 478; Hunziker, Die Anzeige an die Aufsichtsbehörde [Aufsichtsbeschwerde], Dissertation, Zürich 1978, S. 106; BGE 99 Ia 331 E. 2; BGE 97 I 10 E. 2; vgl. auch Urteil Appellationsgericht Basel-Stadt vom 6. April 2020, Nr. DGZ.2019.9, E. 2 und 3.2).

Vorliegend sind die Vorwürfe der Anzeigeerstatterin offensichtlich lächerlich. Wenn sie zu mir gekommen wäre, hätte ich mich geweigert, die Vertretung für eine Aufsichtsbeschwerde zu übernehmen, da ich keine Verfahren führe, bei denen von Anfang an klar ist, dass sie chancenlos sind. Im Übrigen fragt sich, was das Ganze eigentlich soll. Es soll festgestellt werden, dass die Bezirksrichterin ihre Amtspflichten verletzt habe. Dass sie also eine ganz Böse gewesen sei. Was soll das bringen?

Die Bezirksrichterin leitete als Referentin eine Instruktions- und Vergleichsverhandlung (Art. 226 ZPO). Sie erläuterte den Parteien die Sach- und Rechtslage und versuchte eine gütliche Einigung (Vergleich) zu erzielen. Mit Vergleichen wird heute die überwiegende Mehrheit der Zivilprozesse erledigt. Das ist das tägliche Brot von Richtern und Anwälten. Da es sich um eine informelle Verhandlung handelte, wo der Fall unpräjudiziell diskutiert wird, wurde diese inhaltlich nicht protokolliert, insbesondere nicht die Standpunkte der Referentin und der Parteien. Zudem war die Instruktions- und Vergleichsverhandlung nicht öffentlich (BGE 146 I 30).

Der Beschluss des Obergerichts ist gerade auch darum interessant, da er für Aussenstehende einen Blick hinter die geschlossene Tür ermöglicht:

3.1. Die Anzeigeerstatterin beanstandet, dass die Beschwerdegegnerin im Rahmen der Prüfung der Vergleichsbereitschaft unangemessen reagiert habe. Nachdem Letztere die Parteien gefragt habe, ob ein Vergleich ein gangbarer Weg sei, habe die Rechtsanwältin der Gegenpartei dies bejaht und eine Vergleichssumme genannt. Die Rechtsvertreterin der Klägerin und Anzeigeerstatterin habe in der Folge ausgeführt, dass von der Gegenseite eine viel zu tiefe Summe genannt worden und daher der weitere Schriftenwechsel anzuordnen sei. Daraufhin habe die Beschwerdegegnerin sichtlich verärgert festgehalten, dass dies so nicht gehe und dieses Verhalten ungehörig sei, sie ein Gegenangebot erwarte. Als seitens der Anzeigeerstatterin ein Gegenangebot in der Höhe von Fr. 10’000.– gemacht worden sei, habe die Beschwerdegegnerin die Hände verworfen und ihr zu verstehen gegeben, dass sie dieses als ungehörige Forderung betrachte und habe hernach ihre Vorstellung für einen Vergleich in der Höhe von Fr. 1’500.– bis maximal Fr. 3’000.– bekannt gegeben (act. 1 Rz 9 f.).

3.2. Die Beschwerdegegnerin hält zu diesem Vorwurf fest, anlässlich der Instruktionsverhandlung vom 6. Dezember 2022 habe sie den Parteien während rund dreissig Minuten ihre einstweilige Einschätzung hinsichtlich der Prozessaussichten erläutert. Gestützt auf den ersten Schriftenwechsel habe sie die Prozesschancen der Anzeigeerstatterin als gering eingestuft. Im Anschluss an ihre Einschätzung habe sie die Parteien gebeten, das eben Vernommene mit den Rechtsvertreterinnen zu besprechen. Nachdem bei beiden Parteien nach der ersten Unterbrechung eine Vergleichsbereitschaft bestanden habe, sei es in der Folge darum gegangen, sich zahlenmässig anzunähern. Es seien noch weitere Unterbrechungen erfolgt mit dem Ziel, die vergleichsweisen Angebote und Einschätzungen zu besprechen. Die Anzeigeerstatterin habe in der Folge auf einer Vergleichssumme von Fr. 10’000.– beharrt, während die Gegenpartei bereit gewesen wäre, Fr. 5’000.– zu bezahlen. Korrekt sei, dass sie, die Beschwerdegegnerin, der Anzeigeerstatterin empfohlen habe, den offerierten Betrag von Fr. 5’000.– anzunehmen, da sie ihn als angemessen erachtet habe. Unzutreffend sei hingegen, dass sie die Hände verworfen oder verärgert bzw. erregt reagiert habe (act. 5 S. 1 f.).

3.3. Im Rahmen von offiziellen Vergleichsgesprächen, wie sie vorliegend anlässlich der Instruktions- und Vergleichsverhandlung vom 6. Dezember 2022 stattfanden, ist es unter anderem die Aufgabe von Richterinnen und Richtern, den Parteien die eigene Sicht der Dinge aufzuzeigen und ihnen ihre Einschätzung der jeweiligen Prozesschancen mitzuteilen. Ihre Ansicht haben sie dabei in einer sachlichen Art und Weise zu vermitteln und selbst dann, wenn es im Gerichtssaal hektisch zu und her geht oder die Gemüter der Parteien angesichts der stattfindenden Diskussionen erhitzt sind, gelassen zu bleiben. Die Beschwerdegegnerin stellt in ihrer Stellungnahme vom 11. Januar 2023 in Abrede, sich ungehörig verhalten zu haben, namentlich die Hände verworfen und verärgert reagiert zu haben (act. 5 S. 2). Es kann offen gelassen werden, welche der Sachverhaltsschilderungen zutrifft. Denn selbst wenn sich der Sachverhalt wie von der Anzeigeerstatterin geschildert zugetragen hätte, so wäre der Beschwerdegegnerin aus aufsichtsrechtlicher Sicht kein Fehlverhalten vorzuwerfen. Dies gilt namentlich in Bezug auf ihre Äusserung, sie erwarte von Seiten der Anzeigeerstatterin ein Gegenangebot. Ein solches durfte sie durchaus erwarten, nachdem die Gegenpartei bereits eine Vergleichssumme genannt hatte. Nur so konnte sie abschätzen, ob eine vergleichsweise Annäherung der Parteien (weiterhin) möglich war oder nicht. Auch hinsichtlich des Vorwurfs, die Beschwerdegegnerin habe die Forderung der Anzeigeerstatterin und ihrer Rechtsvertreterin sinngemäss als ungehörig bezeichnet und dies mit einer entsprechenden Gestik untermauert, ist keine aufsichtsrechtlich relevante Pflichtverletzung ersichtlich, sollte sich dieser denn so zugetragen haben, wie von der Anzeigeerstatterin geschildert. Während die Gegenseite anfänglich offenbar eine Vergleichssumme von Fr. 1’500.– als adäquat erachtete und als letztes Angebot eine solche von Fr. 5’000.– offerierte, wünschte sich die Anzeigeerstatterin eine solche von Fr. 10’000.–, wobei sie von dieser Forderung nicht abwich. Die Beschwerdegegnerin selbst befand offenbar eine Vergleichsforderung von Fr. 3’000.– bzw. Fr. 5’000.– als angemessen (act. 1 Rz 9 f., act. 5 S. 2). Vor diesem Hintergrund – der eigenen Einschätzung der Beschwerdegegnerin betreffend die Höhe einer adäquaten Vergleichssumme und der weit auseinanderliegenden Vorstellungen der Parteien – wäre eine durch eine entsprechende Gestik der Hände unterstützte Äusserung in der Art, die Forderung der Anzeigeerstatterin sei viel zu hoch bzw. überrissen, zwar als möglicherweise etwas hart, jedoch nicht als derart deplatziert zu qualifizieren, dass sie Anlass zur Anordnung von aufsichtsrechtlichen Massnahmen gäbe.
(…)
5.1. Die Anzeigeerstatterin rügt schliesslich, dass ihre Rechtsvertreterin von der Beschwerdegegnerin dazu gedrängt worden sei, sie zum Abschluss eines Vergleichs zu überreden. Nachdem die Anwältin der Beschwerdegegnerin mehrfach mitgeteilt gehabt habe, dass sich die Anzeigeerstatterin zur Fortführung des Verfahrens entschieden habe und es sie sei, welche entscheide, habe ihr diese in Dialektsprache entgegnet, dass die Anwälte die Macht hätten („händ d‘ Macht“). Dadurch habe sie der Rechtsvertreterin zu verstehen gegeben, dass sie von ihr erwartet hätte, die Anzeigeerstatterin zu einem Vergleich im Umfang von Fr. 5’000.– zu drängen bzw. zu nötigen. Eine solche Aussage beeinträchtige das Ansehen und die Vertrauenswürdigkeit der staatlichen Tätigkeit und stehe im Widerspruch zu den für die Anwälte massgeblichen Standesregeln (act. 1 Rz 18 f.).

5.2. Die Beschwerdegegnerin entgegnet diesem Vorwurf das Folgende (act. 5 S. 2 f.): Sie könne nicht nachvollziehen, weshalb sich die Rechtsvertreterin zu einem Vergleich gedrängt bzw. genötigt gefühlt habe, zumal kein solcher abgeschlossen worden sei. Es sei wohl zutreffend, dass die Rechtsvertreterin ausgeführt habe, dass nicht sie, sondern die Anzeigeerstatterin entscheide. Sie habe die Rechtsvertreterin daraufhin nochmals gebeten, sich mit ihrer Klientin zu besprechen. Sinn dieser Bitte sei nicht gewesen, Druck auf die Anzeigeerstatterin auszuüben. Vielmehr habe sie aufgrund ihres Eindrucks, dass Letztere ihren Ausführungen nicht vollumfänglich habe folgen können, und aufgrund des Prozessrisikos darum ersucht. Ihre vermeintliche Aussage, dass Anwälte über Macht verfügten, sei so zu verstehen gewesen, dass Rechtsvertreter die Parteien bei der Entscheidfindung unterstützen könnten und sollten. Es sei nicht darum gegangen, über den Kopf der Anzeigeerstatterin hinweg zu entscheiden.

5.3. Aufgrund der Parteieingaben ist unbestritten, dass sich die Beschwerdegegnerin zumindest sinngemäss wie von der Anzeigeerstatterin beanstandet geäussert hat (act. 5 S. 3). Entgegen der Wahrnehmung der Anzeigeerstatterin wollte die Beschwerdegegnerin damit aber die Rechtsvertreterin offenbar nicht dazu auffordern, sich über die Standesregeln hinwegzusetzen, sondern – und dies erscheint glaubhaft – lediglich zum Ausdruck bringen, dass Rechtsvertreterinnen und Rechtsvertreter die Parteien in bestmöglichem Masse bei der Entscheidfindung unterstützen sollten (act. 5 S. 3). Auch wenn sie sich dabei mit ihrer Aussage, dass die Anwälte über Macht verfügten, ungeschickt ausdrückte, und nicht gänzlich ausgeschlossen werden kann, dass sie damit implizit Kritik an der Verfahrensführung der Anzeigeerstatterin anbringen wollte, so gibt es keine Hinweise, dass die Aussage auf Parteilichkeit bzw. persönlicher Abneigung oder Geringschätzung gegenüber der Anzeigeerstatterin beruhte. Vielmehr ist mit der Beschwerdegegnerin davon auszugehen, dass die Aussage einzig in gut gemeinter Absicht, der Anzeigeerstatterin zum Abschluss eines für sie guten Vergleichs zu verhelfen, erfolgte, zumal die Gegenseite ihr Vergleichsangebot während der Gespräche erheblich erhöht hatte. Die Äusserung der Beschwerdegegnerin erreicht unter diesen Umständen nicht diejenige Qualität, welche notwendig wäre, um ein Eingreifen aus aufsichtsrechtlichen Gründen rechtfertigen zu können, zumal keine wesentliche bzw. grobe Pflichtverletzung gegeben ist. Von der Durchführung von Parteibefragungen und Zeugeneinvernahmen (act. 1 S. 9) kann bei diesen Gegebenheiten abgesehen werden, da sie an der vorliegenden Würdigung der Rechtslage nichts ändern würden.

Eine Vergleichsverhandlung ist grundsätzlich keine Wohlfühlveranstaltung. Wo gehobelt wird, fallen auch Späne. Es geht zur Sache und das kann weh tun. Die Referentin erläuterte den Parteien die Sach- und Rechtslage und machte dementsprechend einen Vorschlag. Das war jedoch nicht das, was die Klägerin hören wollte. Der Vergleichsvorschlag war offensichtlich erheblich tiefer als der eingeklagte Betrag. Schliesslich ist die Vergleichsverhandlung kein Wunschkonzert.

Die Rechtsvertreterinnen der Parteien konnten dagegen ohne weiteres abschätzen, ob der Vergleichsvorschlag im Rahmen liegt. Allgemein gilt, dass richterliche Vergleichsvorschläge meist in einem vernünftigen Bereich liegen und ein allfälliges Urteil vorwegnehmen, falls die Klage durchgestritten würde. Im Urteilsfall kann das Resultat allerdings auch schlechter sein. Es gibt keine Garantie, dass man mindestens den Vergleichsvorschlag erhält. Deshalb muss man sich immer gut überlegen, ob man einen Vergleich wirklich ausschlagen soll.

Die Klägerin unterschrieb letztendlich keinen Vergleich, weshalb das Verfahren weitergeführt werden muss. Dieser wurden in der Vergleichsverhandlung die verschiedenen Optionen durch die Referentin bzw. durch die eigene Anwältin aufgezeigt. Ihr wurde klar gemacht, dass das Weiterführen des Verfahrens Konsequenzen hat, namentlich werden die Gerichtskosten höher. Vor allem besteht die Gefahr des Überklagens. Das heisst, dass die Klägerin nur teilweise obsiegt und folglich teilweise verliert. Es besteht allerdings auch das Risiko, dass die Klage gänzlich abgewiesen wird. Wenn man eine Kosten-Nutzen-Rechnung macht, ergibt das Weiterklagen aus finanziellen Gründen regelmässig wenig Sinn. Es geht hier schliesslich nicht ums Prinzip, sondern um Geld. Die Klägerin müsste bei einem massiven Überklagen nicht nur mehrheitlich für die Gerichtskosten aufkommen, sondern sie müsste der Beklagten zudem eine Parteientschädigung bezahlen. Zudem verursacht das Weiterführen des Prozesses eine grosse psychische und zeitliche Belastung, die kaum mit Geld aufgewogen werden kann.

Die normalen Vergleichsmodalitäten sind dagegen, dass die Gerichtskosten hälftig geteilt werden und dass gegenseitig auf eine Parteientschädigung verzichtet wird. Vorliegend musste die Referentin der Klägerin die Botschaft übermitteln, dass sie den eingeklagten Betrag nur zu einem Bruchteil erhalten würde, wenn überhaupt. Es handelt sich somit eher um das Problem des Überbringers der schlechten Nachricht. Von einer Verletzung von Amtspflichten kann keine Rede sein. Und schliesslich verweigerte sich die Klägerin einem Vergleich und bestand auf ihrem eigenen, wenig aussichtsreichen Standpunkt.

Nicht nur Richter, sondern auch Anwälte geraten schnell in die Kritik von Parteien. Rechtsvertreter wissen allerdings aus eigener Erfahrung sehr genau, dass ein Vergleich meist der richtige Weg für die eigenen Mandanten ist. Darum wird der Gerichtssaal nicht selten zu einem Basar, wo um die Vergleichssumme oder andere Vergleichsmodalitäten gefeilscht wird. Dabei müssen manchmal Anwälte selbst Druck auf die eigenen Mandanten ausüben, damit ein Vergleich zustande kommt. Die Mandanten müssen ab und zu richtiggehend zu ihrem Glück gezwungen werden. Vorliegend machte sich deshalb die Rechtsvertreterin bei ihrer Mandantin unbeliebt. Das Aufsichtsbeschwerde wurde offensichtlich von einer anderen Anwältin eingereicht. Als Rechtsanwalt muss man darüber stehen, dass man nicht immer geliebt wird, schliesslich ist das kein Beliebtheitswettbewerb. Es interessiert nur die Sache und das beste Resultat für den eigenen Mandanten. In ihrer emotionalen Erregtheit im Gerichtssaal sehen diese aber regelmässig nicht ein, warum sie jetzt einen Vergleich unterschreiben müssen, der ihnen völlig gegen den Strich geht. Später erkennen sie aber meist, dass eine vergleichsweise Erledigung des Streits doch die beste Lösung gewesen ist. In diesem Fall allerdings nicht, denn die Klägerin lehnte den Vergleich ab. Sie hätte meines Erachtens besser auf ihre Anwältin gehört und mit CHF 5‘000.– abgeschlossen.

Schliesslich ist festzustellen, dass auch Richter selbst ein grosses Interesse an Vergleichen haben, da sie damit von viel zusätzlicher Arbeit befreit werden, welche die Fortführung des Verfahrens verursachen würde. Dadurch wird die Justiz von unergiebigen Verfahren entlastet und es werden Kapazitäten frei, um andere Fälle zu bearbeiten. Vergleiche liegen somit im öffentlichen Interesse, da damit Effizienz der Justiz gesteigert wird, was allen Rechtssuchenden zu Gute kommt.

In rechtlicher Hinsicht ist die Aufsichtsbeschwerde sehr diskutabel. Es ergibt wenig Sinn, wenn festgestellt wird, dass die Bezirksrichterin ihre Amtspflichten verletzt habe, wenn diese auch weiterhin als Referentin den Forderungsprozess betreut. Eigentlich hätte die Klägerin ein Ausstandsbegehren stellen müssen. Das bedeutet aber auch, dass auf die Aufsichtsbeschwerde eigentlich gar nicht erst hätte eingetreten werden dürfen, da diese subsidiär ist.

In formeller Hinsicht ist bemerkenswert, dass der Anzeigeerstatterin aus rein formaljuristischen Gründen der Beschwerdeentscheid nicht zugestellt worden ist:

2. Die Anzeigeerstatterin ist im Verfahren betreffend administrative Aufsichtsbeschwerde nicht Verfahrenspartei, denn dieses betrifft nur eine Angelegenheit zwischen der Aufsichtsbehörde und der beaufsichtigten Person. (…)

3. Aufgrund der fehlenden Parteistellung ist der anzeigeerstattenden Person vom Ausgang des Verfahrens keine Mitteilung zu machen (Hauser/Schweri/Lieber, a.a.O., § 82 N 44).

Diese rein formaljuristische Gerichtspraxis ist meines Erachtens etwas lächerlich und nicht kundenorientiert, da der besagte Beschluss im Nachhinein sowieso öffentlich publiziert wird. Dem Obergericht wäre kein Zacken aus der Krone gefallen, wenn der Anzeigeerstatterin eine Kopie zur Kenntnisnahme zugestellt worden wäre. Wir erinnern uns nochmals daran, dass sich das Obergericht zunächst zum angemessenen Verhalten von Richtern und zum fairen Verfahren geäussert hat. Hier geht das Obergericht nicht gerade mit einem guten Beispiel voran.