Mit der Änderung des Zivilgesetzbuches vom 18. Dezember 2020 traten per 1. Januar 2023 Änderungen des Erbrechts in Kraft. Insbesondere wurden die Pflichtteile neu gefasst. Der Pflichtteil beträgt jetzt einheitlich ½ (Art. 471 ZGB). Früher betrug der Pflichtteil für Nachkommen ¾. Pflichtteilsgeschützt sind Nachkommen, Ehegatten und (altrechtliche) eingetragene Partner. Nicht mehr pflichtteilsgeschützt sind die Eltern.
Das bedeutet, dass der Erblasser im Rahmen eines Testamentes freier ist, über seinen Nachlass zu verfügen (Erhöhung der verfügbaren Quote). Auf der anderen Seite erfahren die pflichtteilsgeschützten Erben weniger Schutz. Mehr Freiheit mag zwar positiv sein, aber auch hier hat die Medaille eine Kehrseite, denn ein liberaleres Erbrecht ist auch eine Einladung für Erbschleicher. Deshalb erwarte ich, dass es in Zukunft zu mehr erbrechtlichen Streitigkeiten kommen wird.
Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass der Erblasser grundsätzlich frei ist, was er in seinem Testament verfügt. Namentlich muss er keine Pflichtteile beachten. Ein Testament, selbst wenn es Pflichtteile verletzt, wird ganz normal und im Sinne des Erblassers eröffnet. Es gilt das Anfechtungsprinzip. Das heisst, dass, wenn die pflichtteilsgeschützten Erben das Testament nicht fristgerecht anfechten, das Testament definitiv Gültigkeit behält. In solch einem Fall müssen die pflichtteilsgeschützten Erben den Pflichtteil somit gerichtlich erstreiten.
Der Pflichtteil schützt den Anteil des pflichtteilsgeschützten Erben am Pflichtteil in materieller Hinsicht. Es ist somit ein rein finanzieller Anspruch. Der Pflichtteil schützt dagegen nicht die erbrechtliche Stellung des pflichtteilsgeschützten Erben.
Der Erblasser kann dem pflichtteilsgeschützten Erben seine Erbenstellung nehmen, indem er im Testament verfügt, dass dieser seinen Pflichtteil als Vermächtnis erhalten solle (Art. 484 ZBG). Das Vermächtnis ist als solches zu bezeichnen, da bei Unklarheiten nur von einer Teilungsvorschrift ausgegangen würde (Art. 608 Abs. 3 ZGB) („x. wird auf den Pflichtteil gesetzt. X. soll seinen Pflichtteil als Vermächtnis erhalten.“).
Durch ein Pflichtteilsvermächtnis wird der pflichtteilsgeschützte Erbe zu einem Vermächtnisnehmer. Er ist folglich nicht Teil der Erbengemeinschaft. Zur Durchsetzung des Pflichtteils steht ihm die Vermächtnisklage offen (Art. 601 ZGB). Nicht offen steht ihm dagegen die Herabsetzungsklage (Art. 522 ff. ZGB), da sein Pflichtteil nicht verletzt ist. Nicht offen steht ihm ausserdem die Erbteilungsklage (Art. 604 ZGB), da er nicht Erbe ist. Um seine Erbenstellung allenfalls wieder erlangen zu können, bleibt ihm einzig die Ungültigkeitsklage (Art. 519 ff. ZGB).
Diesbezüglich verweise ich auf das Urteil des Obergerichts vom 27. Mai 2020 (LF200005-O), wo die Thematik in Hinblick auf die Anordnung eines öffentlichen Inventars beleuchtet wird.