Obergericht Aargau gegen Verteidiger

Der Kanton Aargau ist berüchtigt dafür, dass amtliche Verteidiger oder unentgeltliche Rechtsvertreter willkürlich ungenügend entschädigt werden.

Das Obergericht des Kantons Aargau wurde nun in einer Verfügung vom 28. Juni 2022 der Beschwerdekammer des Bundesstrafgerichts (BB.2021.84) überdeutlich abgewatscht:

3. Das Obergericht schreibt bei der Bemessung der Anwaltsentschädigung einleitend, der Aufwand von rund 35 Stunden erweise sich «unter Berücksichtigung des Umfangs der vorliegenden Strafsache als überhöht und sei deshalb zu kürzen.». Das Obergericht erweckt damit zumindest den Anschein, einen bestimmten Betrag als Obergrenze für die Bemessung des amtlichen Honorars für die Verteidigung für angemessen zu halten; dass es – gleichsam pauschal – unabhängig von den konkreten Aufwendungen der Verteidigung bzw. von der Voraussetzung ausgeht, dass 35 Stunden zu viel seien und danach nach Positionen zu suchen, die gekürzt werden können. Es bleibt bei diesem Vorgehen unklar, gemessen woran 35 Stunden Aufwand zu viel sein sollen (Aktenumfang, Strafmass, strafrechtliche Massnahmen [z.B. Landesverweisung], Nebenfolgen, Schaden, Komplexität der Beweisführung, Geständigkeit, Anzahl Anklagepunkte, Unrecht, Verschulden?). Dass dieses Vorgehen – Suchen nach Positionen, die gekürzt werden können, damit die Entschädigung insgesamt nach Ermessen des Obergerichts nicht zu viel wird – problematisch ist und zu wenig vernünftigen Kürzungen im Einzelfall führen kann und als willkürlich erscheint, zeigt sich unten (E. 4.-7.). Im Übrigen sind nach dem Anwaltstarif des Kantons Aargau Pauschalhonorare nicht vorgesehen.
(…)
9. Obiter dictum: In den letzten sechs Jahren sind beim Bundesstrafgericht aus allen 26 Kantonen 115 Beschwerden gegen die kantonale Festsetzung des Honorars der amtlichen Verteidigung erhoben worden; davon entfallen 33 auf die Strafkammer des Obergerichts des Kantons Aargau. Die Strafkammer hat bei vielen Gelegenheiten Hinweise darauf gegeben, dass sie die anwaltlichen Entschädigungen für hoch oder zu hoch erachtet, so zum Beispiel sogar in Dispositiven mit Anweisungen an die erstinstanzliche Gerichtskasse, «dem unentgeltlichen Rechtsbeistand die von der Vorinstanz festgesetzte, sehr hoch erscheinende und im Berufungsverfahren unangefochten gebliebene Entschädigung auszurichten (vgl. Urteil des Bundesgerichts 6B_1299/2018 vom 28. Januar 2019 E. 2.3 f.).». Sie hat auch die Bereitschaft, anwaltliche Honorare nur in Bruchteilen der geltend gemachten Summe zu vergüten, mehrfach unter Beweis gestellt. Die Strafkammer setzt damit möglicherweise einen circulus vitiosus mangelnden Vertrauens in Gang: Die Verteidigung, die damit rechnet, nur für einen Teil oder gar Bruchteil ihrer Forderung entschädigt zu werden, wird motiviert, zu viel in Rechnung zu stellen, um im Ergebnis, nach der zu erwartenden Kürzung durch die Strafkammer noch angemessen für ihren notwendigen Aufwand entschädigt zu werden. Ist das Vertrauen jedoch einmal zerstört, ist es erfahrungsgemäss nur schwer wiederherzustellen. Eine andere Konsequenz könnte die folgende sein: Ein Anwalt, eine Anwältin, die mit willkürlichen Kürzungen ihrer ausgewiesenen Honorarforderungen rechnen müssen, könnten versucht sein, das Kostenrisiko so gering wie möglich zu halten, indem sie in ihr amtliches Mandat so wenig Aufwand wie möglich investieren. Solches dürfte aber in Widerspruch zu ihren Berufspflichten stehen und auch dem Anspruch der amtlich verteidigten Beschuldigten auf angemessene Verteidigung nicht genügen. Das Gericht darf die Anwaltschaft dieser Versuchung nicht aussetzen.

Dass es auch anders geht, zeigt der Kanton Zürich. Hier werden Entschädigungen für amtliche Verteidigungen grossmehrheitlich korrekt festgesetzt.